Kapitel 3
Das Raumschiff
Ort: Weltraum, 370 000 Kilometer außerhalb des Planeten Erde:
Norman und Katja warteten und warteten, bis sie an die Grenzen ihrer Geduld kamen.
»Also, ich sage dir Norman, wenn nicht
bald etwas geschieht verliere ich den Rest meiner noch verbliebenen
Nerven.«
»Ja Katja, du hast vollkommen Recht.
Das geht jetzt wirklich zu weit. Ich frage mich, warum sich Lyr
nicht mehr meldet?«
»Bereit ihr seid für die Reise zu
meiner Welt?«, kam plötzlich wie aus heiterem Himmel
Lyrs Stimme.
»He, Norman hast du das auch gehört?
«, sprach Katja sehr aufgeregt und sichtlich nervös.
»Ja Katja, das war Lyr. Du meine Güte,
jetzt wird es wohl losgehen.« Auch in Normans ganzem Körper
brodelte es vor Aufregung, so dass er sich kaum noch im Zaum halten
konnte.
Wieder verstrich einige Zeit, in der sich nichts rührte.
»Also, wie finde ich denn das, jetzt
geht die ganze Warterei wohl wieder von vorne los. Erst lässt
uns Lyr stundenlang warten und jetzt, wo er uns sagte, dass es
losgehen soll, sehe ich keinen Anfang. Ich begreife das nicht.«,
gab Katja ärgerlich von sich.
Katja und Norman nörgelten noch einige
Zeit weiter und dann, wie von einem Blitz getroffen, verstummten die
beiden. Anscheinend bemerkten sie etwas.
»Norman, hörst du das auch?«
»Was denn, Katja?«
»Na, dieses Geräusch.«, erwiderte Katja.
»Jetzt wo du es sagst, ja jetzt höre ich es auch, Katja.«
Beide sahen sich in nur allen erdenklichen
Richtungen des Weltraumes um. Beide warteten auf etwas.
»Wo es wohl bleibt?«, erwiderte Norman.
»Wo was bleibt, Norman?«
»Na das Raumschiff.«
»Ah, du hast eben das gleiche gedacht
wie ich, Norman.«
Alle beide hatten den gleichen Gedanken. Und
beide warteten auf, ja sie waren sich sogar sicher, dass ein
Raumschiff kommen würde, um sie mitzunehmen in den
geheimnisvollen Raum der Unendlichkeit. Doch statt dessen fielen
ihnen im Inneren der künstlichen Blasen einige
Veränderungen auf.
»He wa... was ist denn jetzt?«
entgegnete Katja zu Norman. Alles begann zu leuchten!
Norman sah an Katjas Verhalten, dass sie sich
nun fürchtete. Er hatte nicht gerade ein sehr gutes Gefühl und
wünschte sich in diesem Moment, dass er Katja bei der
Hand nehmen könnte um ihr beizustehen und um sie zu trösten.
»Katja, habe keine Angst, es wird dir
nichts geschehen, glaube mir.«
»Du hast gut reden, Norman.«
Norman machte sich langsam Sorgen um Katja,
denn um Katja herum wurde es mal heller und mal wieder dunkler. Es
wurde ihm ein Farbenspiel präsentiert, das von einer solchen
Intensivität geprägt wurde, dass Norman das Gefühl
bekam, in einem Zeichentrickfilm mitzuwirken. Ja er sah sogar
Farben, die er mit Sicherheit noch nie in seinem bisherigen Leben je
gesehen hatte.
»Norm... Norman, mir wird so komisch,
Norman hilf mir bitte.«
Norman musste zusehen, wie Katja sich langsam
aufzulösen begann, bis sie nicht mehr zu sehen war.
»Um Gottes Willen Katja, was ist mit dir,
Katja, bleibe hier, lass mich nicht alleine. Bitte Katja, ich bin doch
sonst ganz alleine, bitte!« Doch alles Flehen von Norman
half Katja auch nicht mehr, sie war mit einem hallenden Schrei
verschwunden.
Und es machte auf Norman den Eindruck, als
wäre Katja von einem Nichts verschluckt worden. Er befand sich
kurz vor einen Nervenzusammenbruch. Was war geschehen, warum war
Katja verschwunden und vor allem, wer oder was war dafür
verantwortlich? Doch insgeheim fühlte Norman, wer dafür
verantwortlich war.
»Lyr, Lyr?
«, schrie Norman aufgeregt und wütend in den Weltraum
hinaus.
Doch er bekam keine Antwort. Keine Antwort von
dem Wesen, das für alles verantwortlich war. Das Katja und ihn
ins Leere der Unendlichkeit des Universums entführte. Einem
Wesen, das mit Ihnen Katz und Maus zu spielen schien. Und das
Norman absolut nicht gewillt war zu akzeptieren. Das war das erste
Mal, dass Norman gegen seine Gefühle und Vorahnungen zu
rebellieren begann. Es lag daran, dass er enttäuscht war. Ja,
enttäuscht, von einem Wesen, dem er sein größtes
Mitgefühl gab und für ein Wesen für das er sogar fast
freiwillig seine eigene Familie verließ, zwar nicht für
immer aber dennoch für eine sehr lange Zeit. Auch wenn dieses
Wesen ihm versicherte, dass es keinen Zeitverlust geben würde.
Doch für Norman war die vergangene Zeitspanne real. Er merkte
nicht, dass die Zeit stehen blieb. Jede Minute die er ohne seine
Familie verbrachte, spürte er real. Für ihn verging eine
Sekunde oder eine Minute wie eh und je. Und er begann, langsam wieder
zu zweifeln, zu zweifeln an dem was bisher geschah. Hoffentlich war
alles nur ein Traum, wenn er aufwachte und erkennen musste, dass
alles wie vorher war. Und Norman schrie seinen ganzen Schmerz
heraus. Es war ein Schmerz aus den Tiefen seines Innersten selbst.
Plötzlich begann es auch um Norman herum zu leuchten. Norman
hob seinen gesenkten Kopf, streckte seine Arme aus und schrie
»Hier bin ich!«
»Hier, nehmt mich. Warum zeigt ihr euch
denn nur in meinen Träumen? Lyr, kannst du mich denn nicht
hören? Ich bin bereit, aber meine Freundin war es nicht. Hört
ihr mich, meine Freundin war es nicht.« Und Norman fing zu
weinen an.
Er war so außer
sich, dass man glauben könnte, er habe nun endgültig den
Verstand verloren. Aber dem war nicht so. Norman war nun bereit
alles zu geben. Er wollte den Dogon zeigen, dass er absolut bereit
war für Katja sein Leben zu geben. Und hoffte, dass die Dogon
auf seinen Handel eingingen. Doch was Norman nicht wissen konnte,
ist die Tatsache, dass er um Katja gar keine Angst zu haben brauchte.
Die Dogon waren in diesem Augenblick beschäftigt, seine
Freundin Katja von ihrer künstlichen Luftblase in die von
Norman zu transferieren. Ja, die beiden konnten nicht wissen, dass
Lyr und seinem Volk nichts entging was Sie redeten oder in ihren
Gedanken von sich gaben. Wie schon einmal angesprochen, lernten auch
die Dogon von ihnen. Die Dogon kannten nicht diese Art Gefühle,
so wie es die Menschen empfanden. So wie Hass und Neid, oder Habgier
und Zerstörungswut. Es war so, dass die Dogon in ihrer
Verschmelzung der eigenen Seele und dem Geiste, nur absolute
Harmonie kannten. Und wenn irgendetwas auf diese Gleichheit der
Harmonie zum Ungunsten auf Sie einwirkte, hatte es fatale Folgen
für jeden einzelnen von ihnen. Ein Beispiel: Wenn ein Dogon
krank wurde, dann litten alle Dogon mit. So sehr waren sie in ihrem
Geist und ihrer Seele und in ihren Körpern verbunden. Und das
sagte Lyr auch zu Norman und Katja: »Verschmolzen in Einigkeit unsere
Seelen und dem Geiste wir sind. Als eine Art Einheit, als Kollektiv.«
Nun, nichts desto trotz entging Norman vor
lauter Erregung und Traurigkeit, dass hinter ihm zwar langsam aber
deutlich werdend, Katja wieder auftauchte. Dann plötzlich
wurden seine Sinne jäh in Stücke gerissen. Irgendetwas
berührte Normans rechte Schulter. Vor Schreck schrie Norman
auf. Doch dieser Schrei hallte als stummer Zeuge ins Leere. Hören
konnte er Katjas freudige Begrüßung nicht, zu laut war
noch dieser schrille und summende Ton, der wie ein Echo auf sein
Trommelfell aufprallte. Er verließ sich diesmal wieder auf
seine Vorahnung, die ihm aber kein ungutes Gefühl wiedergab.
Und Norman drehte sich zappelnd und quälend um. Als er sein
Ziel erreicht hatte, verschlug es ihm die Sprache. Befand sich doch
tatsächlich Katja vor ihm. Und das wie sie leibte und lebte. Er
konnte seine Freude nicht länger verbergen. Auch Katja sah
Norman freudig in die Augen. Beide nahmen sich im nächsten
Augenblick so fest in die Arme, dass man glauben konnte, die beiden
wären ein Liebespaar. Doch dem war nicht so und nur Katja
wusste es, dass dies niemals sein konnte. Es war einfach ein Gefühl
der Freundschaft und der Geborgenheit, die die beiden vermissten
und auf diese Art voneinander zurückforderten.
Lange lagen sich die beiden noch in den Armen und nach und nach
beruhigten sie sich wieder.
»Na, Katja, geht es wieder? Fehlt dir
auch nichts?«
»Es ist gut Norman, mir fehlt nichts.
Mach dir keine Sorgen es ist alles wieder okay.«
»Mann, Katja, hatte ich Angst um dich, ich
dachte schon, sie hätten dich für immer von mir getrennt.«
»Na und ich erst, ich hätte mir vor
Angst fast ins Höschen gemacht. Na ja, ist jetzt sowieso egal,
die Hauptsache ist doch, dass wir jetzt endlich zusammen sein
dürfen, stimmts Norman?«
»Du hast Recht, Katja, ich bin auch sehr
froh darüber. Aber sag mal, wie war es denn?«,
fragte Norman etwas aufgeregt und vor allem
sehr neugierig.«
»Wie war was, Norman?«
»Na, ich meine das Verschwinden natürlich.«
»Also, weh getan hat es nicht.«
»So, aber ich meinte eigentlich das, na
ja... lassen wir das. Ich bin heilfroh, dass du wieder da bist.«
Katja fiel auf, dass Norman ein wenig zu
Schmollen begann. Und sie wusste, dass er ja auch einen Grund dazu
hatte. Doch sie meinte dies nicht böse, sie hatte nur keine
Lust darüber zu Reden.
»Hä, sei nicht beleidigt, Norman, ich
hatte nur keine Lust darüber zu reden, zudem kann ich dir
sowieso nicht viel darüber erzählen.«
»Aber an
irgendetwas musst du dich doch erinnern können? Es könnte
vielleicht für uns von Nutzen sein.«
Norman machte sich Hoffnungen, durch Katjas
Erlebnis etwas mehr herausfinden zu können, wie lange die Reise
zu den Dogon in etwa dauern wird.
»Na ja, Norman, als ich mich aufzulösen
begann, versuchte ich noch auf meine Hände zu sehen, doch sie
waren nicht mehr da, auch meine Füße und mein ganzer Körper
lösten sich ins Nichts auf. Aber weißt du, Norman, obwohl ich von
mir nichts mehr sehen konnte, meine Gefühle zu meinem Körper
waren noch da, ja ich konnte noch alles an mir spüren. Und
dann, dann war es tiefe schwarze Nacht, so als hätte ich einen
traumlosen Schlaf gehabt.«
»Und irgendwelche Bilder konntest du
nicht,geistig empfangen, Katja?«
»Nein, tut mir leid, ich wünschte,
ich hätte irgendwelche Visionen empfangen.«
Normans Hoffnungen gingen nicht auf.
»Na ja, Katja, da kann man nichts machen.
Aber wir müssen auf der Hut sein.«
Während sich die beiden weiterhin über
die rätselhaften Ereignisse unterhielten, bemerkte zunächst
keiner von beiden, dass die Reise losging. Aber dies sollte sich
schnell ändern.
»Norman, spürst du das gleiche wie
ich?«
»Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe
das dumpfe Gefühl, dass dieser Boden, hä, ich fürchte
dieses Kraftfeld zu vibrieren beginnt.«
»Ja Norman, genau das habe ich damit
sagen wollen.«
»Und was machen wir jetzt, Norman?«
»Gar nichts, am besten wir warten einfach ab.«
»Du hast Recht, wir sollten nichts
unternehmen und dem Schicksal einfach seinen Lauf lassen.«
Katja hatte sich längst ganz fest an Normans Körper
gedrückt, worüber er vollstes Verständnis zeigte.
Auch ihm tat es in seiner Seele gut, sich an
jemandem festhalten zu können.
»Norman, sieh doch, die Erde wird
kleiner.«
»Ja, du hast Recht Katja, dass kann nur
bedeuten, dass wir uns von der Erde entfernen.«
»Norman, glaubst du, dass es jetzt los
geht, ich meine, dass die Reise begonnen hat?«
»Ja, ich glaube, unsere Reise zu einer
fremden Welt hat soeben begonnen.«
Schweigend und wehmütig sahen die beiden
ihren geliebten Planeten an, der sich stetig verkleinerte, bis
schließlich der unendliche Kosmos ihre gute alte Erde
verschluckt hatte. Als hätte dieser wunderschöne
Planet niemals existiert. Ja, als hätten sie ihn verloren.
Wie oft kam es vor, dass Norman in seinem
Wohnzimmer, in seinem Sessel, bei den Nachrichten die Erde
verfluchte. Manchmal war er so weit, dass er sich seinen Planeten
einfach weg wünschte. So sehr war er der Verzweiflung nahe.
Ständig musste er in den Nachrichten mit ansehen, dass wieder
einmal unser Planet seine Opfer bei so zahlreichen Katastrophen
forderte. Und jetzt, ja und jetzt in genau diesem Augenblick
wünschte er sich so sehr, dass er wieder zuhause in seinem
Wohnzimmer, in seinem Sessel vor dem Fernseher säße. Um
wieder ein ganz bestimmtes Gefühl zurück zu erlangen, um
sich eines bewusst zu sein, wie sehr er doch die Erde, seinen
Heimatplaneten, liebte. Norman war den Tränen nahe, die er aber
vor Katja geschickt zu verbergen wusste. Auch Katja erging es nicht
anders, denn als sie die Erde nicht mehr sehen konnte, sah sie
Norman ganz tief in die Augen. Es war ein besonderer Blick, den sie
Norman schenkte, als würde sie sich verabschieden, von ihrem
wunderschönen Planeten, der Erde. Einen Abschied für
immer.
»Mach dir keine Sorgen Katja, du wirst - wir werden sie wiedersehen.«
»Ja Norman aber es tut so weh. So unendlich weh.«
Norman schluckte. Es war gut, dass beide ihre
geistige Liebe noch einmal zur Erde schickten. Denn so konnten sie
sich besser in ihr Schicksal fügen und sich ganz auf das Ziel,
zu einer fernen und fremden Welt zu reisen, konzentrieren. Norman
und Katja verhielten sich nun ganz still, beobachteten und lauschten
dem Geschehen.
Einige Zeit war vergangen.
»Du Norman, sag Mal, hättest du
nicht auch gedacht, dass wir wenigstens mit einem Raumschiff oder so
etwas ähnlichem abgeholt werden?«
»Ja Katja, hatte damit gerechnet, aber
dem wird wohl nicht so sein. Na ja, Katja, das wichtigste ist doch,
dass uns bis jetzt nichts geschehen ist. Außerdem ist es so
auch ganz nett, mal ne ganz andere Art zu Reisen oder, Katja?«
Norman versuchte, Katja ein bisschen bei Laune zu halten. So war es
nicht verwunderlich, dass sich seine Antwort etwas spaßig
anhörte.
»Oh Mann, Norman, ich bin ganz schön
fertig und hundemüde, sag mal, ob wir uns nicht etwas hinsetzen
können?«
»Na klar, Katja, ich denke, wenn man in
diesem unsichtbaren Kraftfeld bzw. Luftblase, schweben und stehen
kann, ja dann kann man sich auch ganz bestimmt hinsetzen.«
Langsam setzten die beiden sich auf das
Kraftfeld nieder. Nun, die beiden vermuteten, dass es der Bodenteil
sein müsste. Obgleich es - wie wir ja schon wissen - im
Weltenraum keinerlei oben oder unten gab. Nun, der Glaube kann
bekanntlich Berge versetzen. Man muss sich einmal vorstellen,
sich auf etwas zu setzen, was scheinbar gar nicht vorhanden ist. Dass
hier einige Probleme auftauchen können, sollte verständlich
sein. Noch sehr lange saßen so die beiden fest ineinander
verschlungen in dieser Luftblase. Schließlich schliefen die
beiden ein. Während Norman und Katja schliefen und einem
Abenteuer entgegen flogen, ging es zur gleichen Zeit woanders seinen
Lauf.
*
München, Ruferstr.16, Abteilung für Rätselhafte Phänomene:
Wie schon bekannt, hatte Peter Lenz mal wieder
unverschämtes Glück gehabt, dass er von Mary Ritley, die
sich auf den Malediven befand, eine phänomenbestückte
Geschichte bekam. Es war ein rätselhaftes Phänomen, das er
zu diesem Zeitpunkt auch dringend brauchte, da er von einem seiner
wichtigsten Kunden, nämlich von dem Verlag Fakt ganz enorm
unter Druck stand. Inzwischen war auch das Filmmaterial, das Mary
per Eilsendung zu ihm nach München geschickt hatte, angekommen,
das sich jetzt gerade in Bearbeitung befand.
Peter saß in seinem Büro und
diktierte gerade Susanne einen Brief. Dieser Brief sollte zu dem
Material von Mary, das für den Verlag Fakt bestimmt war,
beigefügt werden.
» ... darum bitte ich Sie, Herr Gruber,
mir einen Durchschlag im Bezug, im Bezug, hast du es, Susanne?«
»Klar Chef, im Bezug Komma...«
Während Susanne auf ein weiteres
Diktierwort von ihrem Chef, der stirnrunzelnd nachdachte, wartete,
klingelte das Telefon und wieder einmal war es Apparat 2, den ihr
Chef gar nicht gerne klingeln hörte.
»Ah, das wird nun der Fakt sein. Der hat
nicht lange auf sich warten lassen. Pass auf, Susanne, und bestimmt
wird diese Schlange, der Gruber, am Ende der Leitung sein.« ,
fügte Peter noch hinzu.
»Agentur rätselhafte Phänomene,
Peter Lenz am Apparat, was kann ich für Sie tun?«
»Grüß dich Peter, altes Haus,
ich bin es wieder, Wilfried Clemens.«
»Ah Willi du, da bin ich aber froh dich
zu hören, wie geht es dir denn jetzt wieder?«
»Ja danke, ich bin wieder in Ordnung.«
Wilfried Clemens war für Peter ein treuer
Freund. Sie wuchsen nämlich miteinander auf. Wilfried Clemens
hatte die Aufsicht in der gesamten Abteilung für die
Materialsbeschaffung unter sich und so die Position, Peter Lenz aus
der Klemme zu helfen, wenn es nötig war. Na ja, Willi drückte
ab und an mal ein Auge zu, wenn Peter nicht rechtzeitig liefern
konnte. Als Gegenleistung war Willi der erste der Peters Geschichten
bekam, wenn eine rein kam. Und genau da saß, als Peter in
Schwierigkeiten war, der Haken, wenn Willi krank war kam irgendein
Ersatz für ihn als Leiter in seiner Abteilung. So wie dieser
Gruber, der in seinem Bestreben mehr als fleißig war. Ein
Streber, der am liebsten die ganze Abteilung unter Willis Stuhl
weggezogen hätte. Zum Glück war der Chef vom Verlag Fakt
Willis Onkel, so dass darin keine Gefahr bestand. Außerdem
hatte Willi seinen Onkel in der Hand, wegen irgendeinem
Techtelmechtel mit dessen Sekretärin, die er zufällig bei
einem seiner Liebschaften ertappte. Und für sein Schweigen
bekam Willi natürlich einen gut bezahlten Job in dieser
Abteilung auf Lebenszeit. Auch konnte er sich diesen einen oder
anderen Patzer, den er schon verursacht hatte, leisten. Es wurde halt
immer ein Auge zugedrückt, wenn es um den Neffen vom Chef ging.
Punktum.
»Gibt es was wichtiges Willi, ich meine
haste was ganz bestimmtes im Sinn?«
»Hä, ich wollte dir nur sagen, dass
du mit mir wieder zählen kannst. Aber gut, dass du mich daran
erinnerst. Ich wollte mal fragen ob ich demnächst mit einer
Geschichte rechnen kann oder brauchst du noch Zeit?«
Das war Musik für Peters Ohren, kein
Drängen und Aushorchen mehr, so wie bei diesem Gruber.
»Ja Willi, ich habe ein
außergewöhnliches Phänomen für dich.«
»Was, du hast eine Geschichte, wirklich
Peter?«
Ja, das sind Momente, die Peter Lenz genoss,
wenn ein Tag so prima anfängt und anscheinend alles zu klappen
schien. Wenn er all diejenigen, die an seinen Geschichten Interesse
zeigten, ja wenn er sie zufrieden stellen konnte und das ohne
äußerlichen Druck. Das waren Tage die aber nicht oft
vorkamen.
»Aber ja doch, Willi, glaubst du mir etwa
nicht?« sagte er mach kurzem Schweigen.
»Beruhige dich doch, Peter, ich glaube dir
ja. Nun gut, schick mir diesen Bericht. Ich werde es alsbald
persönlich meinem Onkel vorlegen. Hoffentlich ist die
Geschichte so gut wie immer, dann könnte ich wieder nen fetten
Scheck für dich heraushandeln.«
»Peter, denke an meine Prozente, klar.«
»Mach dir darüber kein Kopfzerbrechen.«
Willi war zwar ein echt guter Freund von
Peter, aber dennoch ein tüchtiger Geschäftsmann, der
einer kleinen finanziellen Zugabe nicht abgeneigt war. Willi
verhandelte mit seinem Onkel persönlich, wenn es um Peters
Phänomene, also um tatsächlich nachweisliche rätselhafte
Geschichten ging. Er konnte sogar den Preis festlegen. Und natürlich
vergas Willi seine Prozente nicht, die für ihn heraussprangen,
die er natürlich wie es sich für einen ordendlichen
Geschäftsmann gehörte, großzügig ansetzte.
Dieses Geschäft zog Willi so ab. Als erstes setzte Willi einen
beliebigen Betrag, den er für nötig hielt, in einem seines
Onkels Firmenscheck ein. Dann fuhr er mit dem Aufzug in die
Chefetage in den 9. Stock, wo sein Onkel thronte. Dann legte er ihm
ganz frech den Scheck auf den Schreibtisch. Anschließend bat
er seinen Onkel, diesen Check zu unterschreiben mit der Bitte, ihn
an die Personalabteilung weiterzuleiten, bedankte sich und ging
gemächlich in Richtung Ausgangstür. Willi wusste ganz
genau, dass sein Onkel zu viel Arbeit hatte. Er wusste, dass ihn sein
Onkel zurückrufen würde. Und er wusste auch, dass sein
Onkel ihn bitten würde, er möchte dies doch selbst
erledigen. Da sein Onkel sich stets unter Zeitdruck befand,
unterschrieb er vertrauensvoll diesen Scheck, ohne ihn zu prüfen.
Den Willi so schnell wie nur irgend möglich wieder an sich
nahm. Danach wanderte das wertvolle Stück Papier persönlich
an Peter Lenz. Bei einem Kaffee-Umtrunk wurde dann dieser Erfolg
mit einem Händeschütteln gefeiert und Willi bekam bei
dieser gelegenheit auch gleich seinen Anteil. Nun diese Sache war
zwar nicht ganz legal, dennoch musste Willis Onkel nicht am
Hungertuch nagen. Es bestand immerhin die Tatsache, dass Willis
Onkel einer der reichsten Geschäftsmänner der Stadt
München war, und zugleich auch einer von den geizigsten.
»Hä, noch etwas, Willi, aus welchem
Loch habt ihr bloß diesen Gruber gegraben?«
»Wieso denn, Peter?«
»Na ja, der ist mir ganz schön auf
die Nerven gegangen mit seinen ständigen Kontrollanrufen.«
»Ach so, ich dachte mir schon, er hätte
sich vor dir schlecht benommen. Peter, den darfst du gar nicht so
wichtig nehmen.«
»Na hör mal, der hat sich ja bei
mir aufgespielt, als wäre er der Chef in deiner Abteilung.
»Ja Peter, das kann ich mir vorstellen.
Der Gruber ist durch und durch ein Streber. Na ja, ich weiß schon
gar nicht mehr, wie viele Jahre er jetzt schon versucht, meinen
Platz zu übernehmen.«
»Mann, Willi, versetz ihn doch in eine
andere Abteilung, am besten irgendwo auswärts, wo er außer
Reichweite von uns beiden ist.«
»Das ist nicht mehr nötig Peter,
den habe ich schon längst abserviert. Der Gruber ist schon
heute Morgen abgereist, ich habe nämlich von meinem Spitzel
mitbekommen, dass er mich bei meinem Onkel ausspielen wollte.«
»Und wohin habt ihr ihn versetzt?«
»Irgendwo in ein kleines Nest in
Ungarn. Dort hat mein Onkel eine kleine Nebenstelle.«
»Ja sag mal, Willi, habt ihr den Gruber
einfach so mir nichts dir nichts aus dem Hauptsitz vertreiben
können?«
»Nun, weißt
du, Peter, das war gar nicht einmal so leicht. Wir mussten ihm eine
Stelle als Abteilungsleiter anbieten. Sonst hätte ich ihn nie
loswerden können. Und wenn wir ihm gekündigt hätten,
wäre er gleich zur Gewerkschaft oder gar aufs Arbeitsgericht
gegangen. Oh Mann, Peter, du hättest sein Gesicht sehen sollen
als ich ihm diesen Job nahelegte. Ich dachte schon, dass dieser
Trottel einen Herzanfall bekommen würde, so sehr war er
beeindruckt. Nun ich denke das Wichtigste ist doch, dass wir beide
ihn ein für allemal los sind. Oder was meinst du dazu, Peter?«
»Klar Willi, das wurde auch höchste
Zeit. Ich denke, Willi, so verbleiben wir für's erste
oder?«
»Okay, Peter, dann auf bald mein bester
und mach es gut.«
»Auf Wiedersehen mein Freund, mach es
besser.«
Als Peter wieder den Hörer auflegte,
dachte er sich noch insgeheim »tja, Beziehungen muss man eben haben«.
*
Zurück zu Sarah Hübner:
Nun, wie wir bis jetzt in Erfahrung bringen
konnten, schlief Sarah, während Katja gen Himmel davonschwebte,
in ihrem Rollstuhl ein. Als sie dann aufwachte, musste Sarah
erschrocken feststellen dass dieses rätselhafte Treiben an der
kleinen Sitzbank neben dem Bahnhäuschen zu Ende war. Doch zu
Sarahs Glück im Unglück blieb die Videokamera
eingeschaltet und filmte in Richtung zu der kleinen Sitzbank - wo
sich das Seltsame Ereignis abspielte - auf dem Fenstersims liegend.
»Meine Güte noch einmal, wie konnte
ich nur einschlafen. Jetzt kann ich nur hoffen, dass die Kamera
alles aufgenommen hat. Muss gleich mal nachsehen.«
Sarah schloss noch die Kamera an Ihrem
Fernseher und dessen Video an, legte noch schnell eine Videokassette
ins Gerät ein, um sogleich das Geschehen, in der Hoffnung, dass
es auf Papas Kamera drauf war, zu kopieren. Einige Zeit war
vergangen und als Sarah alles von der Kamera ihres Vaters in ihr
Videogerät auf einer VHS-Kassette aufgenommen hatte, war es so
weit. Gespannt sah sich Katja diese Szene an.
»Also, das dauert. Ich hoffe, ich finde
die Stelle, wo Katja verschwand.«, sprach Sarah stetig im
Selbstgespräch weiter.
Sarah drückte und drückte auf den
Suchlaufknopf ihres Videogerätes, um die Stelle zu finden, die
sie sich doch so sehr erhoffte. Dann war es endlich so weit. Sarah
bekam mächtig große Augen, ja ihr stockte der Atem. Was
sie da zu sehen bekam, konnte sie nicht in Worten beschreiben. Und
all das hatte sie auf einer Video-Kassette! Ihr war klar, dass
dies der absolute Beweis war.
»Oh Gott,
oh mein Gott, sie schwebt ja richtig. Ja, die Katja Moser schwebt oder
ist es mehr Fliegen, ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll.
Komisch, sie macht ja nicht einmal ein trauriges Gesicht dabei, ja
sie wirkt richtig entspannt und glücklich. Da, Katja streckt
ihre Arme nach irgendetwas aus und sie lächelt dabei. Mist noch
einmal, es sieht so aus, als ginge sie freiwillig mit. Das sieht doch
niemals nach einer Entführung aus. Was mache ich jetzt bloß,
so kann ich es doch niemandem zeigen.« Ja, Sarah hatte zwar
ihren Beweis, aber dennoch war sie nicht zufrieden damit.
Denn nach diesen Aufnahmen zufolge, ging Katja
freiwillig mit diesen Wesen mit. Also war es keine Entführung
und zugleich kein Fall für die Polizei.
»Moment mal, wenn ein Mensch so mir
nichts dir nichts einfach ohne Hilfsmittel davonschwebt oder sagen
wir mal, davonflog, dann ist das doch etwas. Ja, es ist ein Wunder,
ohne Zweifel. Nun, eine Entführung fiel somit aus. Aber dennoch,
ein Phänomen ist es doch Allemal, Mm... Da stellt sich nun die
Frage, wer hier weiterhelfen könnte, für wen dies ein
Fall wäre? Natürlich, das ist es. Genau!« Sarah
hatte die Idee, doch noch etwas aus ihrem rätselhaften Ereignis
zu machen.
Wie eine Reporterin, die hinter jeder
außergewöhnlichen Sache her war, so sehr packte nun Sarah
die Gier nach Anerkennung. Sarahs Charaktere hatten sich von einem
Schlag auf den anderen verändert. Nun ging es ihr nicht mehr um
das arme Mädchen Katja Moser, das noch vor einiger Zeit mit
starren Augen gefesselt vor Angst auf der kleinen Bank saß.
Auch um dessen Wohlwollen machte sich Sarah keine Sorgen mehr. Aus
war es nun um das menschliche Wohlwollen, das in ihr ruhte. Sie sah
sich schon im Fernsehen kommen und das ganz große Geld
verdienen. Die Gier nach Anerkennung veränderte sie völlig
und kannte somit keine Grenzen mehr.
Sarah rollte mit ihrem Rollstuhl ein paar
Meter zu Ihrem Bücherregal, das sich gleich neben der
Eingangstür befand, wo sie glaubte, einmal einen Bericht in
einem ihrer Bücher über Phänomene gelesen zu haben.
»Wo war es doch gleich nochmal.
Irgendwo stand es doch.
Ah, hier hast du dich also versteckt.«
Sarah bekam an ihrem letzten Geburtstag von
ihrer Mutter das neu erschienene Buch "Rätselhafte
Phänomene" zum Geschenk. Und in diesem Buch, in dem sie ab und
zu mal schmökerte, glaubte sie auch eine Adresse gelesen zu
haben.
»Mensch, auf welcher Seite ist sie nur,
diese blöde Adresse. Ah ja, da ist sie schon. So, wie heißt
sie noch und was steht da nochmal? Glauben Sie an rätselhafte
Phänomene? Haben Sie schon mit eigenen Augen seltsame
Ereignisse erlebt oder interessieren Sie sich für
außergewöhnliche Erscheinungen? Ja dann sind Sie bei uns
richtig.«
»Mann, das interessiert doch jetzt
keinen.«, sprach Sarah leicht erregt in sich hinein.
»Ah, da ist doch, na endlich also, was
steht da? Agentur Peter Lenz, Ruferstr. 16, München. Postfach
9633561, Kennwort Rätselhafte Phänomene, Tel. 089 8888567.
Gut, da ruf ich jetzt gleich mal an.
»Hoffentlich ist da jetzt noch jemand zu
erreichen.« Und Sarah wählte die Nummer, wartete und
lauschte.
»Guten Tag, hier spricht Peter Lenz, Sie
sind mit dem Anrufbeantworter der Agentur Rätselhafte
Phänomene verbunden. Unsere Agentur ist leider von...», Sarah
legte wütend den Hörer wieder auf.
»Mist nochmal, na ja, dachte mir schon,
dass um diese Zeit keiner mehr da ist. Was mach ich nur. Nun, was
soll es, dann spreche ich halt auf den Anrufbeantworter und gebe da
meine Nummer durch, vielleicht ruft mich dieser Peter Lenz ja
zurück. Wenn nicht, dann versuche ich es halt morgen nochmal.
Es ist schon ein Kreuz mit diesen Geschäftsleuten immer, wenn
man Sie braucht, sind Sie nicht zu erreichen. Also, wie war doch
gleich die Telefonnummer von diesem Lenz? » Und Sarah wählte
nochmals die Nummer von der Agentur.
»089 8888567... Guten Tag hier spricht
Peter Lenz. Sie sind mit dem Anrufbeantworter meiner Agentur
Rätselhafte Phänomene verbunden. Unsere Agentur ist leider
nicht besetzt, Sie können uns jedoch von Montag bis Freitags
von 9 bis 12 Uhr anrufen. Oder in dringenden Fällen
auf unserem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen. Bitte
sprechen Sie jetzt nach dem Pfeifton...«
»Hä, ja, Hallo... Hä, guten Tag,
ich möchte Ihnen etwas Außergewöhnliches erzählen,
jedoch noch nicht meinen Namen nennen. Noch nicht. Also, es geht um
eine Geschichte, nun, eine Geschichte ist es nicht gerade, aber es ist
ein echtes Phänomen, ja ein Phänomen. Und ich möchte
dieses Phänomen nicht gerade auf ihren Anrufbeantworter
sprechen, man weiß ja nicht, wer ihn alles abhört. Also, Herr
Lenz, wenn Sie sich dafür interessieren, können Sie mich
unter der Telefonnummer 0911/3535198 Erreichen. Ach, und
beinahe hätte ich noch vergessen, Ihnen mitzuteilen, dass ich
dieses Phänomen auf Video aufgenommen habe. Das war es dann
schon. Also rufen Sie mich bitte zurück, es ist wirklich
wichtig. Auf Wiedersehen und bis auf bald.«
Als Katja mit ihrer Nachricht fertig war und
den Hörer wieder auflegte, war sie sichtlich erleichtert, aber
dennoch nicht zufrieden.
»Meine Güte, was habe ich da nun
wieder für einen Unsinn zusammengeredet.
Na ja, die Hauptsache ist doch, dass dieser
Lenz weiß, dass ich ein echtes Phänomen habe und dass er meine
Telefonnummer hat. So, das wäre erledigt. Tja, jetzt heißt
es abwarten zu können.
Aber ich glaube nicht, dass sich da noch jemand
vor dem Wochenende meldet. Jetzt muss ich die Kassette nur noch
verstecken.«, dachte sie sich.
»Aber wo. Immer das gleiche, wenn man
mal ein Versteck braucht, findet man keines.«
Während Sarah sich ein Versteck für
ihre top geheimnisvolle Videokassette sucht, schauen wir doch
einmal nach, wie es denn Norman und Katja auf ihrer abenteuerlichen
Reise ergeht.
*
Wie wir bis jetzt wissen, sind Norman und
Katja vor körperlicher und geistiger Erschöpfung
eingeschlagen. Die Erlebnisse, die sie bis jetzt erlebt hatten, waren
wohl etwas zu viel für die beiden. Oder hatte Lyr wieder einmal
etwas damit zu tun? Ja so ist es. Lyr beabsichtigte, Norman und Katja
in ihren Träumen vorzubereiten. Da dieses Volk noch
Schwierigkeiten mit der Sprache des Menschen hatte, setzten sie
gezielt Bildinformationen, also Visionen, ein. So kam es, dass beide in
allen Einzelheiten das gleiche träumten. Und schauen wir doch
einmal was Norman träumt:
Norman sah sich und Katja auf einem
Felsvorsprung stehen. Unterhalb, etwa 50 Meter tiefer, versammelten
sich hunderte, ja tausende von diesen Wesen, die sich vor den beiden
in einer Ebene versammelten. Es war ein grandioser Anblick der sich
bis zum Horizont hin erstreckte. Norman kam sich wie ein Tier vor,
das auf einer Viehauktion versteigert werden sollte. Dennoch war es
bei Leibe nicht so. Diese Wesen, also die Dogon verharrten still, es
schien so, als würden sie auf etwas warten. Dann sah Norman und
Katja, dass eines dieser Wesen aus der Masse, die sich an Vorderster
Linie befand, hervortrat und winkte. In diesem Traum gab sich Lyr
Norman und Katja zu erkennen. So erkannte er, dass es Lyr war, der
immer heftiger aufmerksam auf sich machte, in dem er mit einer Art
Fahnenbanner winkte. Doch Lyr sah den Wesen in der Masse überhaupt
nicht ähnlich. Eine zweite Gestalt trat aus der Masse hervor.
Diese Gestalt, so konnte Norman erkennen, trug einen gelblich
schimmernden Umhang.
Norman und Katja hatten beide wieder einmal
eine Vision erlebt. Eine Vision, die sie in ihren Träumen so
sehr erschrecken ließ, dass sie fast zeitgleich wach wurden.
»Oh, wir müssen eingeschlafen sein, Katja.«
»Ja, war wohl in den letzten Stunden etwas zu viel für uns.«
»Oh Mann, war das ein Traum. Stell dir
vor Norman, ich hatte einen Traum, da sah ich uns...«
Und Katja erzählte Norman alles, was sie
in ihren Träumen gesehen und Erlebt hatte.
Norman bewahrte seine Höflichkeit und
ließ Katja ausreden, obwohl er einen guten Grund hatte, sie zu
unterbrechen.
»...kannst du dir einen so verrückten
Traum vorstellen. Norman, hörst du mir überhaupt zu? Meine
Güte, was ist nur los mit dir? Warum guckst du mich so komisch
an?«
»Hä... entschuldige Katja, aber ich fürchte, das es kein wirklicher
Traum war, eher eine Vision, die wir beide hatten.«
Katja staunte nicht schlecht, als sie Norman von einer Vision sprechen hörte.
»Wie, kein Traum. Und was meinst du mit Visionen?«
»Katja, mit Visionen meine ich, dass wir
beide, als wir schliefen, die gleichen Bilder in einer Visionsform
hatten.«
Du willst damit sagen, dass du den gleichen
Traum hattest wie ich. Ja, aber so etwas gibt es doch nicht, oder?«
»Anscheinend doch. Katja, willst du darüber reden?«
»Weißt du, Norman, das wird mir
allmählich zu viel. Stell dir nur mal vor, dass wir Abkömmlinge
von diesen Wesen, hä, ich meine den Dogon sein sollten, das kann
ich mir gar nicht vorstellen. Ich dachte immer, dass wir Menschen
ein eigenständiges Volk im Universum seien. Und jetzt sollen
alle unsere Ideale, ja, alles woran wir je geglaubt haben, einfach
durch diese neue Erkenntnis in Verruf kommen oder gar revidiert
werden? Nein, Norman, das kann ich und will ich nicht akzeptieren.
So jedenfalls nicht!«
»Nein, Katja, so weit lassen wir es auch
gar nicht erst kommen. Sie könnten uns zwingen, aber meinen
Glauben an Gott und an unser menschliches Dasein nicht. Also mach
dir nicht so viele Sorgen. Und geben wir den Dogon eine Chance, uns
alles zu erklären. Nicht nur in Rätseln wie bisher,
sondern die ganze Wahrheit. Und, wenn es wirklich in unserer Macht
läge, sie vor ihrem Untergang zu bewahren. Dann, ja dann haben
wir die humane Pflicht, ihnen in jeder nur erdenklichen Weise
beizustehen.«
Beide verglichen und werteten ihre Visionen
aus. Darin erkannten sie sehr schnell, dass sie, ja dass die ganze
Menschheit von den Dogon abstammen muss. Trotz ihrer neuen
Feststellungen, die Norman und Katja bestätigten, dass sie zu
keinem anderen Ergebnis kommen konnten, als im Augenblick zu dieser,
konnte und wollte auch Norman diese Erkenntnis nicht akzeptieren.
Denn, wenn er diese Möglichkeit akzeptiert hätte, ja dann
musste Norman dazu bereit sein, alles in Frage zu stellen. Zum
Beispiel hieße dann die erste Frage, ob es eine höhere
Macht im unendlichen Universum gäbe. Und vieles mehr, woran der
Mensch seit je her festhielt. Es machte ihm Angst, all dies, vor dem er
sich in geistiger Demut verbeugte, aufgeben zu müssen, wenn es
tatsächlich eine andere Wahrheit geben sollte. Norman wurde
sehr nachdenklich.
»Norman, an was musst du denken, du
machst dir anscheinend doch mehr Sorgen, als du mir zugeben
möchtest.«
»Na ja, du hast die selben Visionen wie
ich gesehen, nicht wahr?«
»Ja, Norman, aber das weißt du doch
bereits. Was ist, sag schon was dich bedrückt?«
»Nun, in
meinen Visionen ist mir bei den Wesen auf ihrer Versammlung etwas
seltsames aufgefallen, das die These, wir seien eine Abstammung
dieser Wesen, bestätigt. Weißt du, alle trugen die gleiche
Kleidung, so eine Art von Kutten?«
»Ja, Norman, das ist mir auch nicht
entgangen, aber worauf willst du hinaus, ich meine was willst du mir
damit sagen.«
»Es wundert mich wirklich, Katja, dass es
dir entgangen ist. Also, wie schon gesagt, trugen alle die
gleiche Kutte, bis auf zwei Gestalten. Die erste Gestalt soll Lyr
gewesen sein, doch die zweite, die sich die gelbe Kutte abstreifte,
entpuppte sich als einer von uns. Ich könnte mich auch irren,
Katja, aber meine Vorahnungen haben mich noch nie im Stich gelassen.
Ich versuche es zu Verdrängen, aber es gelingt mir nicht. Katja,
das Wesen sah uns sehr ähnlich und es verhielt sich genau
wie wir. Dieser Blick, es blickte uns an, als wolle es uns sagen, ich
grüße euch. Und dann geht mir immer und immer wieder
dieser Satz nicht aus dem Sinn, den Lyr noch auf der Erde zu mir sagte: "Wir deine
Brüder sind". Was sagst du dazu, Katja?«
»Ja, Norman, ich habe diesen menschenähnlichen
Typen auch gesehen, doch wer sagt dir, dass es ein
Humanoide ist. Vielleicht hatte es ja nur unsere Gestalt angenommen.
Norman, auch ich habe in meinem bisherigen Leben viele Vorahnungen
gehabt und auch ich konnte mich stets auf sie verlassen. Doch
dieses mal hatte ich außer dieser Traumvision keine Vorahnung.
Nichts der gleichen, das mich warnte oder ein schlechtes Gefühl
gab. Kein innerliches Gefühl, das mir sagte, dass es ein Homo
sapiens, ein Mensch sei.«
»Ja, sicherlich hast du mal wieder Recht,
Katja. Was ist, wenn es doch einer von uns ist und wenn all diese
vermummten Gestalten, die wir in Reih und Glied bis zum Horizont
erspähten, wenn alle von unserer Art sind? Ja, dann frage ich
mich, wo der Ursprung vom Homo sapiens liegt. Kannst du mir
vielleicht darauf antworten?«
»Na, sie haben sich höchstwahrscheinlich
auf die gleiche Weise wie wir entwickelt, denke ich?«
Als Norman diese Möglichkeit von Katja
hörte, wurde er wieder einmal kreidebleich. Denn da hatte
Katja nicht einmal so Unrecht. Dennoch eine gewagte Theorie. Und
warum sprach Lyr immer wieder von seinem Volk, das er mit uns retten
musste. Nein es gibt viel zu viele Möglichkeiten, um sich nur
auf eine Fassung versteifen zu wollen.
Ja, Norman und Katja waren sich schließlich
einig, dass sie mit diesen Fragen erst einmal abwarteten, bis sie
auf diesem wundervollen Planeten angekommen sind.
»Nun, Norman warten wir erst mal ab, oder
was meinst du.«
»Tja Katja, da wird uns wohl oder übel
nichts anderes übrig bleiben.«
Norman wurde es langweilig, also beschloss er,
sich erst einmal dieses künstliche Kraftfeld, wie er es zuweilen
bezeichnete, genauer unter die Lupe zu nehmen. Es lag in
seiner Natur, wie ein kleines Kind alles zu erforschen, was er nicht
kannte. Bis er des Rätsels Lösung Herr war. Man konnte
ihn auch als Forschernatur bezeichnen. Er erhob sich und fing an,
nach einer Wand zu suchen, die sich irgendwo in ihrer Begrenzung
auffinden sollte. Und Katja blieb nicht, ohne genaueste Bemusterung
auf Normans Treiben zu achten.
»Norman, was tust du da, was hast du vor?«
Fragte Katja verblüfft und staunend zugleich, als sie ihn
abtastend und in sämtlichen Stellungen herumkrabbelnd sah.
»Mir ist gerade eingefallen, dass ich
dieses Kraftfeld, das uns umgibt, ein wenig zu untersuchen könnte.«
Katja versuchte krampfhaft das Lachen zu
vermeiden. Wusste sie doch, dass Norman in seiner Ernsthaftigkeit
sehr beleidigt werden konnte. Doch es war zu komisch, mit anzusehen
wie Norman alle Viere von sich streckte, so dass sie sich nicht mehr
halten konnte und lauthals loslachte. Ja, Katja weinte vor Lachen.
Sie hatte schon viele komische Situationen erlebt, aber was sie da
zu sehen bekam, überbot alles bisher dagewesene.
»Ja, lach nur, Katja, aber ich weiß ganz
genau, was ich hier tue. Vom Herumstehen ergibt sich ohnehin keine
Lösung. Ich will wissen, wie empfindlich das künstliche
Schutzschild ist. Und vor allem, was es für eine Form besitzt.«
So drückte er mit aller Kraft eine
seiner geballten Fäuste gegen das Schutzschild, als wolle er
ein Loch hineinstoßen. Doch es ging nicht. Es fühlte
sich an, als stemmte er zwei Magneten gegen ihre Pole, die sich
stetig voneinander abstießen. Norman war sichtlich
begeistert von der Konstruktion dieses Kraftfeldes. Zumal es auch
noch für das menschliche Auge unsichtbar war.
»Mann, Katja, was wäre das für
eine Errungenschaft für uns Menschen. Wir könnten damit
viele Menschen ins All schicken, touristikmäßig meine
ich. Das wäre die Sensation des Jahrhunderts, ach, was sage
ich, es wäre die Sensation des Jahrtausends. Oder was sagst du
dazu?«
Katja vernahm nicht mal Normans Worte, viel zu
sehr war sie mit ihren Gedanken beschäftigt.
»Katja, hast du mir überhaupt zugehört?«
»Hä, was? Entschuldige bitte, ich
habe gerade an etwas anderes gedacht. Kannst du bitte deine Frage
wiederholen, Norman?«
»Ach, vergiss es, Katja, war sowieso
nicht so wichtig. Machst du dir wieder Sorgen?«
»Es geht, Norman, musste gerade an meine
Mutter denken, was sie wohl jetzt in diesen Augenblick macht?«
»Wenn wir nach der These von Lyr gehen,
dann wird sie in diesem Augenblick so gut wie garnichts tun.«
»Was meinst du mit garnichts tun?«
»Nun, Katja, nach Lyrs These vergeht
überhaupt keine Zeit. Wir haben keinen Zeitverlust, so lange wir
auf Reisen sind.«
»Ja, aber er
hat auch gesagt, dass es unsere eigene Entscheidung ist, ob wir uns
daran erinnern möchten oder nicht. Erinnerung ist der
Verbündete der Vergangenheit, also ist folglich Zeit
vergangen.«
Norman sah Katja wortlos und verblüfft
an, er hatte mit einer solchen grandiosen und einleuchtenden Antwort
von ihr nicht gerechnet. Und Katja sah es ihm an seiner Mimik an,
dass sie ihm diesmal ein sattes Kontra gegeben hatte, worauf sie sichtlich
stolz war.
»Ja, aber was ist, wenn diese Wesen
wirklich die Zeit verändern könnten, so wie Lyr es schon
andeutete. Dann glaube ich, dass wir in eine Art Zeitschleife
versetzt wurden. Wie sonst wäre es möglich, dass wir mit
dieser künstlichen Kraftfeldblase solch enorme Weiten im
Weltall zurücklegen können. Weißt du, ganz so dumm sind wir
Menschen ja auch nicht. Wir waren nämlich schon im Weltall.
Zwar stehen uns noch nicht die gleichen Mittel zur Verfügung
wie die der Wesen, die solch enorme Geschwindigkeiten zurücklegen
können. Nun denn, wenn wir aber unsere heutige und moderne
Zeit mit der Zeit unserer Vorfahren vergleichen würden, kann
ich doch mit gutem Gewissen behaupten, dass wir nicht gerade auf der
faulen Haut gelegen sind. Betrachten wir doch mal die bemannte
Raumfahrt, beachtlich nicht wahr?«
»Ja, Norman, aber das überschattet
nicht die Tatsache, dass diese Wesen uns höchstwahrscheinlich
um vieles voraus sind.«
»Oh ja, liebe Katja, da bin ich ganz
deiner Meinung.«
»Sag mal, Norman, woher willst du wissen,
dass wir eine enorme Geschwindigkeit zurücklegen, also ich kann
das nicht erkennen. Ich sehe keine Sterne an uns vorbeiziehen oder
irgendein leuchtendes Objekt, woraus wir schließen könnten,
dass wir uns fortbewegen.«
»Fühlst du denn nicht das Zittern
dieser Kraftfeldblase unter deinen Füßen Katja?«
»Du hast Recht, und ich hoffe inständig,
dass es auch bei dieser Geschwindigkeit bleibt.«
Norman und Katja unterhielten sich weiterhin
über dieses und jenes und vergaßen dabei Zeit und Raum.
Dann plötzlich, wie aus dem Nichts auftauchend glaubte Norman
ein Geräusch zu hören. Auch Katja wurde inzwischen
hellhörig.
»Du hast es auch gehört, Norman?«
»Ja, Katja, das klang nach einem
verzerrten Rauschen, oder was meinst du.«
»Ja, so wie wenn eine Turbine anlaufen
würde. Auch das Zittern des Kraftfeldes hat zugenommen.«
»Es wird wohl besser sein, wir
zerbrechen uns nicht den Kopf darüber und warten weiterhin ab.«
»Ja, Katja, du hast Recht, warten wir
lieber ab, was geschieht.«
Katja und Norman hatten sich längst wieder
zusammenkauernd hingesetzt. Dann begann die Kraftfeldblase zu
Pulsieren. Lauernd und ängstlich geworden, drückte Katja
Normans rechten Arm immer fester zu. Norman spürte förmlich
das Zittern von Katjas Körper. Immer heller und gleißender
wurde dieses sonderbare Licht außerhalb der pulsierenden
Kraftfeldblase. Norman konnte durch dieses sehr helle Licht nicht
mehr nach außen sehen wie vorher, wo sich ihm zumindest die
ewige schwarze Nacht des unendlichen Universums darbot. Dann brach
ein ohrenbetäubender Ton auf die beiden herein, der so hoch
folgte, dass sie sich die Hände auf die Ohren halten mussten,
so sehr schmerzte dieser Ton. Auf einmal wurde es still um die
beiden. Norman und Katja nahmen ihre Hände langsam und zögernd
wieder von den Ohren, um weiterhin zu lauschen. Doch es war nichts
mehr zu hören.
»Meine Güte, Norman, bin ich jetzt erschrocken.«
»Glaubst du etwa, ich nicht?«
Plötzlich wich schillernd und gleißend
das Licht immer mehr zurück, bis sie schließlich wieder
in die unendlichen Weiten des Universums blicken konnten.
»Norman, sieh, jetzt können wir das Weltall wieder sehen.«
»Ja, Katja, ein gutes Gefühl, nicht wahr?«
»Oh ja, man kommt sich nicht mehr so
hilflos vor. Aber sieh doch mal, hast du schon einmal so viele
Sterne gesehen? Komisch!«
Norman kannte sich in Sachen Astrologie ein
wenig aus. Es war sein heimliches Hobby. Und da war es nicht
verwunderlich, dass Norman stutzig wurde, als er sich durch Katjas
Aussage mit einem prüfenden Blick vergewisserte.
»Du hast Recht, Katja, dass ist nicht unser Sternensystem.«
»Aber das verstehe ich nicht, wie ist das möglich?«
»Vielleicht sind wir, während uns
dieses gleißende Licht umgab, in ein anderes Sternensystem
katapultiert worden?«
»Ja, das kann schon sein, Katja. Dann
bedeutet das, dass wir in Regionen vorgedrungen sind, die außer
uns beiden keiner von uns Menschen je gesehen hat.«
»Mann, Norman, das ist ja ein Ding.«
Beide schwiegen, beide bekamen ein Gefühl
der Achtung und der Demut. Sie blickten noch eine ganze Weile in die
unendlichen Weiten einer fremden Galaxie. Und sie beobachteten die
funkelnden Lichtquellen und die schon verloschenen Sterne, die
sich wie kleine funkelnde Diamanten präsentierten. Man spürte
förmlich, wie sich die Gezeiten des Weltraumes gegeneinander
ausspielten um sich als erstes dem Lauf aller Dinge einzuordnen. Es
war ein Anblick, den sie niemals mehr in ihrem Leben vergessen
würden, bis sie schließlich jäh aus ihren
Wachträumen gerissen wurden.
»Norman, Katja?«, kam eine Stimme, die, die beiden sehr wohl kannten, aus dem
Nichts hervor.
»Norman, hast du das auch gehört?
Ich glaube, das klang nach unserem außerirdischen Freund Lyr.«
»Stimmt, Katja, das war Lyr. Ich bin mal gespannt, was für eine
Überraschung er diesmal für uns hat.«
Es war klar, dass die beiden ein bisschen sauer
auf Lyr waren. Fühlten sie sich doch von ihm vernachlässigt
und alleine gelassen.
»Lyr grüßt euch und ist des Glückes.«
Katja nahm ihren ganzen Mut zusammen um Lyr einige Vorwürfe zu machen.
»Lyr, wo warst du denn die ganze Zeit
über. Ich, und da ist Norman ganz meiner Meinung, finden das
nicht sehr fair von dir, dass du uns die ganze Zeit über
alleine lässt.«
Norman schenkte Katja einen Blick, der so viel wie nicht doch
bedeuten sollte. Doch Katja ließ sich nicht beirren.
»Ist doch auch wahr, Norman, da brauchst
du gar nicht so komisch zu gucken.«
»Katja, ich will nicht Lyr zur Seite
stehen, aber er hatte bestimmt gute Gründe für sein
Ausbleiben.«
»Oh la, la. Ich glaube, das hätte
ich nicht sagen sollen.« dachte sich Norman, als er Katjas
wütende Blicke sah.
»Nicht in Streit ihr sollt euch wiegen.
Geschwister ihr seid von dem gleichen Blut und der Art des Geistes
und der Seele.«
Auch Norman geriet wie einst Katja ganz schön durcheinander, als
er die Worte wie Geschwister und des gleichen Bluts hörte.
»Was hat Lyr da gesagt, Geschwister und
gleiches Blut?« Mit einem Lächeln auf den Lippen sah er
Katja an, doch ihrem Gesichtsausdruck nach überkam
Norman das Gefühl, als wüsste Katja etwas davon.
»Katja, weißt du vielleicht etwas davon?«
Katja hätte nicht gedacht, dass es so schnell herauskommen
würde.
Gerne hätte sie Norman selbst darauf
vorbereitet. Doch es war schon zu spät. Ja, jetzt musste sie mit
offenen Karten spielen, warum sie die Wahrheit für sich
behalten hatte.
»Hä, Norman, verzeih mir, dass ich es
eine zeitlang für mich behalten hatte. Aber, weißt du, wir
hatten und haben noch so viel zu bewältigen, dass ich dachte,
der Zeitpunkt sei noch nicht gekommen. Ich wollte das in einem
dafür geeigneten Rahmen tun. Es war schon immer ein Wunsch von
mir. Ich wünschte mir schon immer einen richtigen Bruder. Dann,
als ich erfuhr, dass ich einen Bruder habe, einen leiblichen Bruder,
den ich sehr bald kennenlernen würde, da bekam ich plötzlich
Angst. Nicht Angst vor dir, Norman, aber Angst vor dem, wie ich mich
verhalten sollte. Du musst mich verstehen. Von einen Augenblick auf
den anderen. Es fehlten so viele Jahre, in denen sich unsere
Geschwisterliebe hätte festigen können. Ich wusste nicht,
wie ich mich verhalten sollte. Wie hättest du denn darauf
reagiert, Norman?«
Norman sah, wie Katja ein paar Tränen über die
Wangen liefen, die sie verstohlen zu unterdrücken
versuchte.
Längst hatte er begriffen, was Katja in
diesem Augenblick fühlte und dass es ihr sehr schwer fiel,
darüber zu Reden. Also beließ er es auch dabei. Nur ein
paar tröstende Worte würden jetzt Katja helfen, sich zu
beruhigen.
»Katja, beruhige dich doch, ich kann dich
ja verstehen. Wirklich, ich bin dir nicht böse. Ich wollte dir
nicht wehtun? Du glaubst mir doch, oder?«
»Ja Norman ich will dir glauben. Es ist
für uns beide nicht sehr leicht.«
Normans Freude, dass er jetzt eine Schwester
haben sollte, war groß, dennoch vermochte er dies nicht zu
zeigen. Er wollte erst auf die richtige Gelegenheit warten. Erinnert
durch das Wort Geschwister, musste Norman an seinen jüngeren
Bruder Raphael denken, der heute nicht mehr leben würde, wenn
er nicht wäre. Ja, er vermisste ihn schrecklich. Wie oft hatte
er sich fest vorgenommen, ihn einmal zu besuchen, doch immer wieder
kam etwas dazwischen. Und jetzt dachte er sich, was kann eigentlich
wichtiger sein als die Familie. Ja, so ist das nun einmal. In den
meisten Fällen merken wir es viel zu spät, wie kostbar
doch ein Familienzusammenhalt ist. Erst wenn jemand verstorben oder
für einen unerreichbar geworden ist, beginnen wir zu begreifen.
Ja, wir beginnen zu begreifen, wie tief doch das Familienblut in
unseren Herzen verwurzelt ist.
»Es ist schon eine verrückte Welt.«
Fügte er noch im Selbstgespräch hinzu.
Dann wurden Normans Gedanken abrupt unterbrochen.
Denn Lyr meldete sich wieder zu Wort.
»Lyr ist betrübt. Sehr frei in
eurem Wesen ihr Erdenmenschen doch seid. Doch Zeit ist es nun, die
eigentliche Reise der Zeit zu durchdringen, um mein Volk zu retten.
Doch mein Geist mir sagt, dass viel Zweifel noch in euch ist, ihr
bereit noch nicht, seid. Die eure Entscheidung es ist. Erzwingen
vermag ich sie nicht. Lyr fühlt, euer Wunsch es ist, wieder
zurück zu den Euren zu gehen. Zurück zu kehren in eine
Welt, die den Namen Erde trägt.«
Norman und Katja wunderten sich, dass Lyr so
schnell kapitulierte. Dennoch konnten sie Lyrs Worte und deren
Bedeutung sehr wohl verstehen. Lyr wollte ihnen noch
einmal die Gelegenheit geben, eine freie Entscheidung zu
treffen, ohne an ihrem Gemüt zu rütteln. Ihnen eine Gelegenheit geben, auf ihren Heimatplaneten
zurückzukehren. So langsam begriffen sie, dass Lyr sich
gedanklich mit ihnen Verschmelzen konnte und dass er womöglich
in der Lage war, all ihre Zweifel, all ihre Sehnsüchte und
Ängste mitzufühlen. Aber auch Norman und Katja konnten
Lyr und sein Volk verstehen, ja auch sie fühlten Lyrs
unendlichen Schmerz und Verzweiflung. Lyr hatte merklich Angst um
sein Volk, die Dogon. Lyr gab dieses Gefühl ständig an
Norman und Katja weiter. Sie konnten nicht sagen, ob es Absicht war, oder
ob sie schon so sehr miteinander seelenverwandt wurden. Dennoch, so
tief mitleiden zu müssen, war für die beiden nicht einfach.
Sie hatten nun
eine Entscheidung zu treffen. Einige Entscheidungen, die sehr schwer
auf ihren Schultern lasteten.
»Norman? Was meinst du, sollen wir
aufgeben?«
»Katja, was meinst du mit aufgeben?«
»Na ja, ich meine, möchtest du
wieder nach Hause?« Katja beobachtete Normans Mimik aufs
Genaueste.
In seinem Gesichtsausdruck war vieles zu
lesen. Zum einen, dass er am liebsten alles hinwerfen würde.
Und zum anderen sah sie auch, dass Norman in diesen Moment einen
innerlichen Kampf mit sich selbst führte. Einen Kampf gegen
sein schwächeres Ich, das alle Menschen von Beginn ihrer Geburt
in sich trugen. Den er leicht verlieren könnte. Norman
suchte seine innerliche Kraft, die schon immer in ihm ruhte und nur
darauf wartete, erweckt zu werden. Ja, die ihn nicht vergessen ließ,
dass er noch immer ein Geschöpf Gottes ist. Norman suchte in
seiner geistigen Meditation die Kraft. Sie sollte ihm den richtigen
Weg zeigen. Sie sollte ihm die nötige Weisheit verleihen, um mit
aufrechten Gedanken einem Volk zu helfen, das sicherlich Hilfe
benötigte. Auf Normans Gesicht spiegelte sich nun sein wahres
Ich, das ein sanftes aber bestimmendes Lächeln formierte.
»Katja, so sehr ich mich auch nach Hause
zu meiner Familie sehne, ich bleibe bei Lyr, ich lasse ihn und sein
Volk nicht im Stich. Aber wenn du nach Hause möchtest, bin ich
dir nicht böse.«
»Das finde ich lieb von dir, Norman,
aber glaubst du denn wirklich, dass ich dich alleine lasse? Außerdem
wusste ich von Anfang an, auf was ich mich da eingelassen hatte. Ich
weiß, es geht hier nicht nur um unsere Wenigkeit. Sondern um
ein Volk das dem Untergang geweiht sein wird, wenn wir nichts
dagegen unternehmen. Zudem bin ich sehr neugierig darauf, zu
erfahren, was für eine Rolle wir bei dieser ganzen Geschichte
spielen werden. Also komme ich mit und damit basta! Und dass du
gleich Bescheid weißt, Norman, das ist mein letztes Wort und ich
möchte diesbezüglich nichts mehr darüber hören
Okay?«
»Katja, ich habe dich ja verstanden. Also,
wenn das dein Wunsch ist, werde ich dem nicht mehr widersprechen.«
Es bedurfte keiner Worte mehr, Norman und
Katja entschieden sich natürlich für die Große
Reise. Und auch Lyr hatte dem nichts mehr hinzuzufügen. Die
Dogon waren fähig, Gedanken auf einer telepathischen
Bewusstseinsebene zu empfangen. Dann eröffnete sich für
Norman und Katja eine Erscheinung, die ihnen so mächtig und
dennoch zugleich unglaublich vorkam. Die beiden kamen aus dem
Staunen nicht mehr heraus. Noch einige Minuten starrten sie mit
weit aufgerissenen Augen auf dieses mächtige und gigantische
Bollwerk, das sich stolz in einem bunten und schillernden Feuerwerk
aus Lichtern brüstete.
»Norman... Siehst du auch was ich sehe?«
»Ja Katja,
es ist wunderbar.« Norman war von diesem Anblick so sehr
gefesselt, dass er nur wenige Worte fand.
»Norman, es sieht so aus, als wäre
es ein Raumschiff, oder für was hältst du es?«
»Ja, Katja, ich glaube, das es nichts
anderes sein kann. Es ist ein Raumschiff.«
An so viele phänomenale Errungenschaften
konnten Norman und Katja sich erinnern, die die Menschen in den
letzten 100 Jahren erfanden. Raketen, Shuttles und Fluggeräte
aller Art, doch was sie da zu sehen bekamen, übertraf alles bisher
dagewesene. Man konnte dieses Raumschiff durchaus mit einer
Stadt vergleichen. Es war einzigartig in seiner Beschaffenheit.
Überall blinkte und funkelte es in allen nur erdenklichen
Farben, die man sich nur vorstellen kann. Als blicke man in ein Feld
voller Diamanten, Smaragde, Rubine und Saphire. Unbeschreiblich,
dieser Anblick.
»Oh Norman, sieh doch, wie wunder-,
wunderschön es doch ist. Ein Meer voller Lichter. Einzigartig
nicht wahr?«
»Ja, Katja. Wenn, ich das jemals einem
Menschen erzählen würde...«
»Ich glaube, niemand wäre im Stande
dieses einzigartige Szenario zu beschreiben.«
Norman und Katja bewunderten dieses Wunder der Technik noch eine
ganze Weile.
»Du, Norman, sag mal, was denkst du, ob wir
jetzt doch noch mit dem Raumschiff zu ihrem Planeten fliegen?«
»Na, ich denke schon, Katja. Oder was
glaubst du, was die Dogon wohl hier suchen?«
»Ich meinte ja nur...«
»Jetzt mal im Ernst, Katja, ich glaube
nicht, dass die Dogon Milliarden von Lichtjahren hierher reisen, um
nur Hallo zu sagen oder gar herumzupöbeln.«
Typisch Katja, es war klar, dass sie nicht
lange verweilen konnte, ohne Norman Kontra zu geben.
»Wer sagt dir, dass dieses mächtige
Bollwerk von den Dogon stammt oder gebaut wurde? Es könnte
durchaus sein, dass es Feinde von den Dogon sind.«
Das war durchaus eine berechtigte Vermutung
von Katja, denn es gab viele Gründe, warum die Dogon ihre Hilfe
brauchten.
»Das könnte sein, Katja. Wenn es so
wäre, dann glaube ich nicht, dass die Dogon unsere Hilfe
benötigen. Überleg doch mal, was sollten wir zwei
Hasenfüße schon gegen diese übermächtige Gewalt
ausrichten können? Nein, ich glaube eher, dass es eines der
Raumschiffe der Dogon ist.«
»Ja, Norman, das klingt logisch. Aber
wieso glaubst du, dass es unbedingt ein Raumschiff der Dogon sein
muss?«
»Nun ich kann jedenfalls nur eines
sehen. Um auf diese Art einen Krieg zwischen zwei Parteien zu
führen, denke ich mir mal, bräuchte man zumindest zwei
Raumschiffe nicht wahr?«
Tja, auch Norman war in seinen Antworten an
Katja nicht ganz ohne. Ja, und Norman sollte Recht behalten.
Kapitel 3, Das Raumschiff, Teil 2
Anfang und Kapitelübersicht
© 2012 by Peter Althammer
|