Kapitel 28
Der Abschied
So kam nun der unweigerliche Abschied von den Bewohnern des Raumschiffes
und vom Raumschiff selbst, das ihnen viele Jahre ein Zuhause war.
Nachdem die gesamte Gruppe auch ihre Adressen untereinander
ausgetauscht hatten, um sich wenigstens zweimal im Jahr zu treffen,
stand der Abschied von Lyr, dem Androiden, noch bevor.
Erschwerend kam hinzu, dass die Gruppe sämtliche persönlichen
Dinge, die sie in den Jahren auf dem Raumschiff gesammelt hatten,
darunter auch Andenken usw., zurücklassen mussten. Katja durfte sogar
ihr einzigartiges Tagebuch nicht mitnehmen. Sie durften nur das,
was sie im Augenblick ihrer Entführungen bei sich trugen,
mitnehmen. Das war nicht gerade viel, wie man sich denken kann.
Doch es musste eben sein. Es kam dann der Augenblick, an dem sie sich
von ihren Quartieren, zumindest gedanklich, verabschieden mussten.
Denn das letzte Frühstück stand unmittelbar bevor. Ein letzter
Gang, den sie geschlossen, ja den sie in Gemeinsamkeit, zum über
alles geliebten Speisesaal gingen.
Ein jeder verhielt sich da ganz anders. Der eine ging einfach aus seinem
Quartier, der andere guckte sich nochmal um. Der andere sah, bevor
er die Tür ins Schloss fallen ließ, noch einmal traurig
hinein. Jeder halt auf seine eigene Art und Weise. So machte sich
die Gruppe geschlossen wie immer in Richtung der Kantine auf. Schweigend,
und nicht wie sonst, wo sich heiße Debatten, ja fast
Streitgespräche, entfalteten. Wo man lachte oder gar
weinte. Nichts mehr war von dieser Unbeschwertheit zu spüren.
Der letzte Gang in die Kantine glich einem Trauerzug. Und als sie
den riesigen Speisesaal betraten, wurden sie von einer jubelnden und
Beifall klatschenden Menge empfangen. Alle Dogon, mit denen sie
während ihrer so vielen Mahlzeiten in diesem Saal verbrachten,
standen auf und zeigten der Gruppe ihre Freundschaft. Und vorneweg
Lyr, der Androide. Dann kam er auf sie zu und nahm an ihrem Tisch
Platz. Zunächst schwiegen alle wieder. Sonderbarerweise auch
Lyr. Man sah ihm an, dass es ihm schwerfiel zu sprechen. Nur
zögerlich begann Lyr zu reden:
»Mir stehen viele Möglichkeiten zur Verfügung, mich in dieser Situation zu äußern.
Doch wie ich in meinem Speicher feststellen musste, ist davon keine
einzige passend genug. So kann ich euch nur eines sagen, dass ich von
euch Menschen sehr viel gelernt habe und mich hier und jetzt dafür
bedanken möchte. Bald werdet ihr wieder zu Hause sein und euch in
eurer gewohnten Umgebung wiederfinden. So bleibt mir nur eines, euch
zu sagen: Dass ich euch sehr lieb gewonnen habe. Sofern ich dies als
Androide überhaupt deuten darf. Ihr werdet wieder bei euren
Liebsten sein, die euch Halt und Freundschaft geben werden. Und
deswegen wünsche ich euch ein langes und gesundes Leben.«,
wünschte Lyr seiner Gruppe.
»Das hast du aber schön gesagt, Lyr, ich darf mich hier und jetzt und
im Namen der gesamten Gruppe, für deine lieben Worte bedanken.«,
sagte Sarah.
»Danke, meine lieben Menschen, ihr beschämt mich zutiefst. Doch
endgültig verabschieden werde ich mich, bevor ihr in eure
Shuttles steigen werdet.«, fügte Lyr hinzu.
»Wieso in unsere Shuttles, werden wir denn nicht auch zusammen heimgebracht,
ich meine, in einer eurer komischen und unsichtbaren Luftblasen?«,
fragte nun Norman nach.
»Genau das ist das Stichwort. Denn seine Heiligkeit hat uns einige
Tarn-Shuttles, die neu entwickelt wurden, zur Verfügung gestellt.
Diese Tarn-Shuttles werden, sobald sie in die Erdatmosphäre
eindringen, für jeden Erdenbewohner unsichtbar sein. Auf diese
Weise können wir euch bequem bis auf die Erde bringen und das,
ohne entdeckt zu werden. Jeder von euch wird in eines dieser
Tarnshuttles einsteigen und vollkommen automatisch in die Nähe
jenes Ortes gebracht, an dem er entführt wurde. Da wir ja die
exakte Zeit für jeden von euch berechnet haben, werden sich
eure Start- und somit Landezeiten etwas unterscheiden. Ihr dürft
jetzt auch nicht denken, dass ihr viele Jahre von zu Hause weg wart.
Wenn ihr dort ankommt, wart ihr überhaupt nicht weg.
Norman, du wirst zur gleichen Zeit an diesem kleinen Sitzbänkchen vor
dem Bahnhofshaus abgesetzt. Katja, das gleiche gilt auch für
dich, nur an einem späteren Zeitpunkt. Du wurdest von deiner
Mutter zum ansässigen Bäcker gebeten und hast dich auf dem
Nachhauseweg auf diese kleine Bank gesetzt, von wo du entführt
wurdest. Vergiss bitte nicht, gleich wieder nach Hause zu gehen, damit
sich deine Mutter keine Sorgen machen muss.«
Das stimmt doch nicht, Lyr?«, sagte Katja nun etwas ärgerlich.
»Was soll denn da nicht stimmen, Katja?«, fragte Lyr nun ganz
irritiert.
»Na, ich war nicht beim Bäcker, ich war davor. Die hatten nämlich
geschlossen, wegen Umbau.«, sagte Katja.
»So, wie komisch, in meinem Speicher habe ich keine Informationen darüber.
Sonderbar. Das hat dennoch keine schwerwiegenden Folgen auf sich.
Wichtig ist nur, dass du nach Hause gehst, ja?«, verlangte Lyr
von ihr.
»Natürlich, mein bester Lyr, ich bringe deswegen nicht noch deine Schaltkreise
durcheinander.«, entgegnete Katja lustigerweise.
Sarah, Stephan und Mary: Sarah, du und Stephan, also dein Papa,
werdet vor euer Haus gebracht. Das gleiche trifft für Mary
zu, die sich ja zu Besuch bei euch befand, als ihr von mir entführt
wurdet. Gregor und Susanne, euch setzen wir vor eurer Agentur ab.
Wichtig für euch ist, dass ihr sofort in die Agentur geht und
euch mindestens eine Stunde lang darin aufhaltet. Und Peter, du
wirst vor deinem Auto abgesetzt, in diesem Feldweg, in den du
eingefahren bist. Ob du die Fahrt nach Rednizkleineck fortsetzt oder nicht,
das bleibt dir überlassen. Es wird sich nicht viel dabei
ändern. Wenigstens nichts tragisches. Ich weiß, es geschieht
alles etwas anders. Aber durch eine kleine nicht eingeplante
Raumverzerrung innerhalb der Zeitschleife müssen wir so
handeln. Doch darüber müsst ihr euch keine Sorgen machen.
So, das wäre nun die Aufteilung gewesen. Über all das
müsstet ihr euch normalerweise keine Gedanken machen, wenn ihr
nicht die Erinnerungen gewählt hättet. Aber, wie ich schon
mal sagte, war und ist dies eure eigene Entscheidung gewesen. Soweit
zu eurer Rückkehr. Ihr habt ungefähr noch dreißig Minuten Zeit,
euch voneinander zu verabschieden. Sicherlich werdet ihr Kontakt
halten. Ihr lebt ja nicht sehr weit voneinander entfernt.«, riet Lyr.
»Natürlich werden wir das, wir haben ja auch schon die Adressen ausgetauscht.«,
sagte Katja. Dann begannen sie sich zu umarmen und auch ein paar
Tränchen begannen zu fließen. Für Lyr den Androiden
kein Wunder. Sie haben sehr viel erlebt, was sie nun verbindet, dachte er.
Auch diese halbe Stunde verging wie im Fluge und Lyr kam von der
Kommandobrücke zurück.
»So lasst uns nun zu Hangar vier hinunterfahren, dort stehen die Tarnshuttles
bereit, die euch einzeln nach Hause bringen werden.«, sagte Lyr
und fuhr mit ihnen zu Hangar vier. Dort angekommen wies Lyr jedem aus
der Gruppe, sein Tarnshuttle zu, das jeden vollautomatisch an sein
Ziel fliegen wird. Nun war es auch für Lyr den Androiden Zeit,
sich zu verabschieden. Ein Abschied für immer? Wer weiß das
schon!
»So, meine Lieblingsmenschen. Ich wünsche euch ein langes und
gesundes Leben. Ich werde euch niemals vergessen.«, wünschte
sich Lyr mit einem Blick, der alles aussagte. Ja, Lyr war traurig. Doch
er wollte es ihnen nicht so zeigen, um es seinen Schützlingen, mit
denen er so viele Abenteuer erlebt hatte, nicht schwerer zu machen als
nötig.
Einer nach dem anderen kam zu ihm und umarmte ihn. Wortlos stieg nun ein
jeder in sein zugewiesenes Tarn-Shuttle. Katja sah Lyr an, der noch immer
neben den Shuttles stand. Sie freute sich natürlich, endlich
nach Hause zu kommen, ihre Mutter wiederzusehen und nicht zu
vergessen, ihren Hund Wuschel. Doch es war nunmal eine lange Zeit,
die sie mit Lyr dem Androiden auf diesem Raumschiff verbracht hatte.
Ihr war klar, dass sie ihn sehr vermissen wird. Ja, alles hier würde
sie vermissen. Auch Norman dachte fast wie Katja. Ja, er würde
von nun an das Leben mit ganz anderen Augen sehen. So kam nun, was
kommen musste. Das Hangar vier öffnete sich und die Shuttles
flogen los. Noch während des Fluges wurde dann die Tarnung der Shuttles
aktiv und diese somit für menschliche Augen oder
Radargeräte völlig unsichtbar. Da stand nun Lyr völlig
alleine in Hangar vier, und fühlte sich, menschlich gesprochen,
hundsmiserabel. Lyr drehte sich um und man konnte nur noch die
einsamen und hallenden Schritte des Androiden vernehmen, der sich
auch gleich wieder auf den Weg zu seiner Kommandobrücke machte,
um seinen ihm anvertrauten Pflichten nachzukommen, ja um wieder mit
seinem Raumschiff, der Surenech, neuen Abenteuern mit
Hypersuptinar-Geschwindigkeit entgegenzufliegen.
Ende
Anfang und Kapitelübersicht
© 2012 by Peter Althammer
|