Kapitel 18
Flucht vom Planeten Goderijan
»Ich Grüße euch allesamt.
Schon sehr hungrig?«, grüßte Lyr mit Wonne im
Gemüt und Frohsinn in seiner Seele. Doch keiner wollte ihm
eine Antwort auf seine Frage geben, im Gegenteil, sie stierten ihn
nur an. Und während sie gemeinsam in die zehnte Etage
hochfuhren, gab Lyr froh gestimmt ein Liedchen in Form von Pfeifen
zu seinem Besten. Oben angekommen verließen alle den Lift und
Lyr natürlich wie immer vorweg. Die Gruppe lief absichtlich
etwas langsamer, um ein bisschen über Lyrs seltsames Verhalten
zu flüstern. Was sie aber nicht wussten, ist, dass Lyr es nicht
nötig hatte in ihrer Nähe zu bleiben, um alles zu hören,
was ihm wichtig erschien, dank seinem ausgezeichneten
Hörvermögen, das nun durch den neuen eingebauten Chip natürlich
um ein vielfaches besser denn je funktionierte. Während seine
Schützlinge über ihn im Flüsterton sprachen, musste
Lyr mal wieder schmunzeln.
»Sag mal, was ist denn mit Lyr
geschehen?«, wollte Peter wissen.
»Da stimmt doch was nicht, und seit wann
kann Lyr pfeifen?«, wollte nun Sarah wissen.
Die Fragen purzelten förmlich vor Neugier aus ihren Mündern.
Bis sich Katja zu Wort meldete.
»Mann, manchmal denke ich, dass ihr
überhaupt nichts im Kopf habt. Ist euch denn nicht aufgefallen,
dass Lyr sich ganz und gar verändert hat? Er geht jetzt auch
geschmeidiger einher als sonst. Auch seine Stimme klang nun nicht
mehr wie das hohe Gezeter, das er sonst immer veranstaltete. Er
spricht nun viel flüssiger als sonst. Und sind euch denn nicht
seine Augen aufgefallen, die waren doch immer so hellblau und starr
und leblos wirkend. Na, fällt denn jetzt der Groschen?«,
fragte Katja die anderen.
Ja, und was willst du damit sagen, Katja?«,
kam achselzuckend von Gregor.
»Na, dass Lyr seinen neuen Chip in sich
einbauen ließ oder gar sich selbst einsetzte, wie auch immer.
Eine andere Erklärung für sein Verhalten, das nun sehr
menschlich aussah, gibt es kaum, so glaube ich.«, erklärte
Norman den anderen der Gruppe.
»Ach, deshalb wirkte er so verändert,
dennoch muss ich mir eingestehen, dass er mir so ganz gut
gefällt.«, äußerte sich nun Susanne dazu.
Womit die anderen der gleichen Meinung waren. Doch ihn vorerst
darauf ansprechen wollten sie noch nicht. Hier auf dem Flur war
ja auch nicht der richtige Ort dafür, da waren sich alle
einig. Während sich die Gruppe ihr Mittagsessen schmecken ließ,
stand Lyr wie immer auch in diesem Türrahmen am Ein- und
Ausgang der Kantine, um geduldig auf seine Schützlinge zu
warten. Doch weit gefehlt, Norman winkte und bat Lyr, an den
Rundtisch zu kommen. Worauf er sogleich schwungvoll, ja fast
tänzelnd zu seinen Schützlingen ging. Die gesamte Gruppe
rückte etwas zusammen.
»Komm, Lyr, setz dich doch ein bisschen
zu uns. Wie du sehen kannst, sind wir deinetwegen schon mal ein
bisschen zusammengerückt.
»Das ist sehr nett von euch, mich in
eure Runde einzuladen.« Im Nu saß er neben Norman zu
seiner Rechten und Katja zu seiner Linken. Lyr versuchte, mit
Freundlichkeit und wörtlichem Geschick ein ganz bestimmtes
Thema in dieser doch so netten Runde nicht aufkommen zu lassen,
zumindest heute nicht.
Doch insgeheim wusste Lyr, dass er sich,
wenn sich seine Schützlinge mal was in den Kopf
gesetzt hatten, nicht viel Chancen ausrechnen konnte. Doch für
ihn einen Versuch wert. Dennoch fühlte sich Lyr inmitten der
Runde sehr wohl.
Diese freundschaftliche Geselligkeit, die seine Schützlinge
ausstrahlten, war für ihn sehr schön anzusehen, zumal sie ja in den letzten Jahren sehr viele
Abenteuer gemeinsam erlebt, ja gemeinsam durchgestanden hatten. Nun,
da saßen sie an dem Rundtisch, stumm wie Fische geworden.
Irgendwie, so schien es, warteten Lyrs Schützlinge auf etwas.
Eine zeitlang verharrte das Schweigen noch, bis sich Katja zu Wort
meldete:
»Nun, Lyr? Hast du uns denn nichts zu
berichten?«
»Ich... Äh... Warum lässt mich
das Gefühl nicht los, dass ihr längst über meine
Veränderung Bescheid wisst?«, antwortete Lyr mit
gerunzelter Stirn.
»So? Was für eine Veränderung
sollten wir denn an dir bemerkt haben, Lyr, unser treuer Freund?«,
fragte Katja, um ihn ein wenig zu ärgern, was aber auch nur ein
Späßchen ihrerseits war.
»Na, dass sich der neue Chip schon längst
im Einsatz befindet, oder etwa nicht, Lyr?«, stellte Norman
fest.
»Ja, ich muss gestehen, dass ich ihn in
mich eingesetzt habe, wie ihr sagen würdet. Eigentlich wollte
ich euch damit überraschen. Ich wollte vorerst noch feststellen,
wie ihr auf mein neues Verhalten im einzelnen reagiert, ob ich noch
für euch akzeptabel bin.«, entgegnete Lyr etwas bedrückt.
»Lyr, wir werden dich immer akzeptieren,
ungeachtet dessen, ob du dich verändert hast oder nicht. Du
solltest nie vergessen, dass du unser Freund bist und das für
immer. Natürlich, so glaube ich, so glauben auch die anderen von
uns, wird es einige Unstimmigkeiten zwischen uns geben. Mag sein,
dass es wegen deines Chip zu gewissen Spannungen kommen kann. Aber, so
glaube ich, und da bin ich mir sicher, werden auch die anderen mir
hinsichtlich dieser Sache Recht geben. So, und nun verlange ich, dass
du dir deswegen keine Sorgen mehr machst, okay?«, forderte
Katja von Lyr, natürlich guten Mutes.
»Wisst ihr was, ich glaube, dass ihr
Recht behaltet. Wie sagt ihr doch immer, man sollte sich doch
über belanglose Dinge keinen Kopf machen, oder?«, sagte
Lyr voller Überzeugung.
»Na endlich, Lyr, jetzt hast du es
geschnallt.«
»Lyr, sag mal, wie fühlst du dich
denn jetzt, ich meine fühlst du dich nun anders als sonst?«,
wollten eigentlich alle wissen, obwohl Stephan diese Frage stellte.
»Ich kann euch sagen, es ist, als
wäre ich neu geboren, als wäre ich nicht ich. Als wäre
mein ganzer Körper neu erschaffen worden. Ich meine, meine
Gedanken sind die Gleichen geblieben, ich kann mich an alles
erinnern, nur intensiver. Mein Tastsinn ist um ein gigantisches
gestiegen. Meine Augen können jetzt weinen. Und sehen wie die
euren. Und ich kann ein und ausatmen, so atmen, dass sich mein
ganzer Brustkorb wie der eure nach innen und nach außen wölbt.
Meine Nase ist warm und ich kann damit riechen, ja, ihr hört
richtig, ich kann Blumen, Sträucher und Wiesen riechen, die nach einem
Regen ihre süßen Düfte vom Wind verströmen
lassen und den Sommer verkünden.«, erklärte Lyr mit einer Freude und
Aufregung zugleich, die Ihresgleichen suchte und mit nichts zu
vergleichen war. Ja, es war eine Freude für Lyr, bis ins
kleinste Detail zu erzählen. Nach dem ausgiebigen Mittagsmahl
und dem ausführlichen Gespräch mit Lyr gingen alle
geschlossen wieder in ihr Quartier. Für Lyr hingegen gab es
natürlich wieder einmal keine Mittagspause, um sein neues Ich,
hervorgerufen durch den neuen Chip, studieren zu können. Der
Heilige Xarmax sandte ihm in diesen Augenblick eine Botschaft per
Signal. Dieses Signal wurde vom Hauptcomputer in Lyrs Computer schon
entschlüsselt und transferiert (übermittelt), so dass er
immer sofort wusste, um was oder um wen es sich hierbei handelt.
Manches Mal hatten seine Schützlinge das Gefühl, dass Lyr
ein Teil des Hauptcomputers ist. Während sich die Gruppe in
ihren Quartieren etwas gemütlich machte oder sie sich frisch machten,
machte sich Lyr auf dem schnellsten Wege zu seinem Schöpfer auf,
den Heiligen Xarmax. Dort angekommen, trat er sogleich ein und
verbeugte sich in Demut vor seinem Schöpfer.
»Mein Schöpfer bat mich um ein
dringendes Gespräch?«, vergewisserte sich Lyr nochmals.
»Gewiss, so höre, mein getreuer Lyr:
Es ist etwas Unerwartetes eingetreten.
Vorerst zum Ersten. Meine Wenigkeit hat sich
mit dem Hohen Rat besprochen. Du weißt, dass es für mich sehr
wichtig ist, des Hohen Rates Meinung und eventuelle Vorschläge
zu hören und gegebenfalls auch danach zu handeln.«,
entgegnete der Heilige Xarmax seinem Androiden.
»Ja, gewiss, mein Schöpfer.«,
gab Lyr zur Antwort.
»Wir müssen erneut die geistige
und seelische Verschmelzung von Norman und Katja mit der unserer
Macht verschieben. Der Grund, der mich dazu veranlasste, liegt nicht
in meinem Wunsch und Ermessen, sondern der Spezies, die sich
Nohkui nennt und die dir bestimmt auch sehr gut in Erinnerung
geblieben sein dürfte, mein lieber Freund Lyr.«
»Natürlich, mein Schöpfer, ich
kann mich noch gut an diese Bestien, die sich Nohkui nennen,
erinnern. Ich und meine Schützlinge hatten ja einige Tage Zeit
auf dem Planeten Sinas, dieses wandernde Volk kennenzulernen,
besser gesagt fast hautnah mitzuerleben, dennoch, wer möchte
schon freiwillig an diese Bestien denken?«, fragte Lyr.
»Ja, das glaube ich dir gerne, und ich
hoffe, dass ich, was noch auf uns zukommen kann, irgendwie
verhindern kann, es sieht nämlich nicht gut aus. So höre
meine Worte:
Diese aggressive
Spezies, die Nohkui, die von unseren Freunden, den Apaloss, gejagt
und fast vernichtet worden ist, stellt für uns abermals eine
Gefahr für das Volk dar. Einer von den größeren
Sternenkreuzern der Nohkuis, der fast einem Schlachtschiff gleichzusetzen ist,
so wurde ich heute von unseren Freunden, also dem Führer des
Flottenkommandos der Apaloss, dem Großen Godurus, in Kenntnis
gesetzt, konnte den
Nohkui in eine noch nicht von den umliegenden besiedelten Welten
erforschten Quadranten mit dem Namen Quiloo entkommen. Nach
intensiver ergebnisloser und verzweifelter Suche, der Abtastung des
Quadranten Quiloo, mussten die tapferen Apaloss die Verfolgung
aufgeben.«
»Jedoch, zu einem späteren
Zeitpunkt entdeckte ein Außenposten der Apaloss genau jenen
Sternenkreuzer, der, wie schon gesagt, fast einem Schlachtschiff
gleichzusetzen ist, und Kurs genau auf Goderijan hielt. Zudem
stellten spezielle Sensoren jener Außenposten fest, dass,
sprichwörtlich genommen, dieser Kreuzer, sich bis übers
Dach hinaus bewaffnet befand. Ich und der Hohe Rat und natürlich
jene unsere Retter, die Apaloss, wussten, ja spürten förmlich,
dass jener Sternenkreuzer nur als Tarnung für die Nohkui
diente. So erhofften sich jene Nohkui, unbemerkt aus dem Quiloo
Quadranten zu gelangen, was ihnen auch gelang. Doch unsere
Retter machten einen entscheidenten Fehler. Bevor sie aufgaben,
warteten sie noch einen Tag am Rande des Quiloo Quadranten, in der
sicheren Hoffnung, jene Nohkui vielleicht doch noch durch
ihre Sensoren zu entdecken, also aufspüren zu können,
was fehlschlug. Das genau wussten diese elenden Nohkui, da sie einen
sehr klugen Taktiker, jenen scharfsinnigen Kommandanten auf ihrem
getarnten Kreuzer zur Seite hatten. Denn genau an diesem Tag, an dem
sie am Rande des Quiloo Quadranten warteten, schlüpften die
Nohkui, verdeckt durch ihre Tarnvorrichtung sozusagen am anderen
Ende des besagten Quadranten hindurch und konnten Kurs auf unseren
Planeten Goderijan nehmen. Doch zum Glück im Unglück
wussten sie von dem Außenposten nichts. Jener
Außenposten war natürlich mit speziellen Sensoren
ausgestattet. Nachdem der Außenposten durch seine speziellen
Sensoren diesen Trick der Nohkui schnell durchschaut hatte,
alarmierte die Besatzung ihren Flottenführer, der sich ebenfalls
sofort mit größtmöglicher Geschwindigkeit
auf den Weg machte, die Verfolgung der Nohkui aufzunehmen. Doch die
Hauptflotte wird höchstwahrscheinlich einen Tag zu spät
kommen, bis sie uns hier auf Goderijan zu Hilfe eilen können.
Nun, Lyr, mein getreuer Freund, das sind sehr schlechte Karten, die
wir da haben, wie die Menschen doch belieben zu sagen.«,
erklärte der Heilige Xarmax seinem Androiden Lyr.
»Und wie geruht mein Schöpfer nun zu
handeln?«, erkundigte sich nun Lyr berechtigterweise.
»So höre,
Lyr: Stets hat sich die Form meines Ichs, meines Geistes,
auf dich verlassen können. So werde ich dir nun einen sehr
wichtigen Auftrag erteilen. Du wirst sofort das Mutterschiff
Surenech, wie sagen doch die Menschen dazu, ach ja, klar Schiff
machen. Das bedeutet, dass du ab sofort das Kommando auf diesem
Schiff übernehmen wirst. Bis heute Abend muss alles
Lebenswichtige an Bord geladen sein. Gebe dies nach unserem
Gespräch sofort in Auftrag. Das Mutterschiff muss perfekt
besetzt sein. Und jeder ein Meister seines Faches. Sie werden sofort
nach Ankunft auf dem Raumschiff bis auf weiteres ihre Pflichten
übernehmen. Doch was uns gezwungenermaßen noch wichtiger
sein muss, ist die Sicherheit unserer 8 Menschlinge, die sich unter allen
Umständen in Sicherheit befinden müssen. Sie werden
mit auf die Reise gehen. Wie wichtig deine Schützlinge für
unser Volk sind, brauche ich dir ja nicht zu erläutern. Deshalb
wirst du, mein Getreuer Androide, für ihren persönlichen
Schutz sorgen, koste es was es wolle. Wohin eure Reise gehen wird,
kann ich im Augenblick nicht erörtern. Ich kann euch nur auf
einen vorläufigen Kurs bringen, der aber so schnell es nur
geht von mir zu dir, mein Freund Lyr, ja, auf nun deinem Schiff in
Signalform von mir persönlich abgeändert wird. Es
ist zu gefährlich, den Kurs im Hauptcomputer einzuspeichern oder
per üblichem Signal zu versenden. Es könnte nämlich
sein, dass wir vielleicht abgetastet, ja vielleicht schon abgehört
werden. Ihr müsst daher vorerst manuell den Kurs befehligen.
Wenn ihr dann außer Gefahr seid, werdet ihr die Ziel-Koordinaten
von mir persönlich erhalten und zwar mit einem
neuen und abfangsicheren Impuls-Signal. Außerdem wirst du
Punkt 20 Uhr menschlicher Zeit das Raumschiff starten. Vorerst, und
bis du die neuen Koordinaten von mir und nur ausschließlich
von mir erhält, setzt du Kurs auf das neue Ziel. Ach, fast
hätte ich es vergessen: Suche dir per Computer aus unserer
Bevölkerung noch 100 Paare aus. Man kann ja nicht wissen, wie
dieser Angriff auf unsere Stadt endet. Wir können nicht
riskieren, dass unsere Rasse vollkommen ausstirbt. Ich fühle,
dass sie die Hauptstadt als erstes angreifen werden. Während
du, Lyr, deine Befehle bis heute Abend ausführst, wird meine
Wenigkeit dafür Sorge tragen, die Bevölkerung in den
Ausnahmezustand zu versetzen. Ich werde sofort in allen Regionen,
also in sämtlichen Großstädten, vorerst das
Verweilen in den unterirdischen Bunkern anordnen lassen.«
Lyr sah, wie sein Schöpfer völlig
erschöpft und mitgenommen seinen Kopf senkte.
»Mein Schöpfer, du solltest etwas
ruhen. Ihr seht sehr müde und bedrückt aus.«, machte
sich Lyr Sorgen.
»Was ist
meine Müdigkeit denn wert, wenn ich sie nicht verdient habe.
Ja, gegen die Müdigkeit kann ich vieles tun, doch was mein
Geist und Herz mir sagt, bedeutet nichts Gutes. Oh, gräuliches
Schicksal, wie soll ich denn Billionen von meinen Untertanen in
Sicherheit bringen. Und das auch noch in eineinhalb Tagen?« Xarmax
befand sich wahrlich mit seinem Volk in großen Schwierigkeiten.
Denn mit den Waffen, die diese Nohkui an Bord hatten, könnten
sie den gesamten Planeten zerstören, ja sogar in die Luft
sprengen. Was sie aber vorerst nicht tun werden, denn die
Nohkui haben es ja auf die Ressourcen des Planeten Goderijan
abgesehen. Erst, und da war sich der Heilige Xarmax absolut sicher,
wenn sie alle Goderijaner getötet und zum Teil gefangen
genommen haben, alles geplündert, den Planeten unfruchtbar gemacht und
bis auf sein Innerstes an Rohstoffen ausgeplündert haben, werden
sie abziehen und im nachhinein den Planeten vollständig
vernichten, sozusagen in die Luft sprengen. Dann werden sie wie
immer weiterziehen. Unbemerkt und sehr schnell werden sie wieder in
die unendlichen Weiten das Weltalls eintauchen und sich in fernen
Galaxien verlieren. Dabei werden sie langsam aber stetig ihre von
den Goderijanern - wenn es tatsächlich so weit kommen würde -
erbeuteten Ressourcen verbrauchen, sich wieder eine andere Welt
zu eigen machen und sie plündern, mit allem was dazugehört.
Ja, der Heilige Xarmax hatte allen Grund dazu, sich in höchstem
Maße Sorgen zu machen. Denn er kannte noch ein Geheimnis, ein
schreckliches Geheimnis, was die wandernde Spezies, die Nohkui,
betraf, das ihm, als er zum Heiligen Xarmax erkoren wurde, als
Geheimnis mitgegeben wurde. Die Nohkui brauchten zwecks ihrer sehr
schnellen Vermehrung sehr viel Eiweiß und Proteine, und was
für ein Produkt liefert mehr als genug davon? Fleisch, genau,
diese Spezies brauchte nicht nur Rohstoffe jeglicher Art, sondern
Fleisch und zwar in Mengen. Die Nohkui wuchsen vier bis fünf
mal schneller als die Goderijaner und die Menschen. Sie werfen, und
das ein jeder von ihnen, 30 bis 35, sagen wir mal 'Junge' ihres
Gleichen und das zirka alle 5 Monate eines Erdenjahres. Was aber
sehr besorglich ist, ist die Tatsache, dass diese jungen Nohkui
schon nach einem Jahr voll ausgewachsen sind. Und genauso fähig,
alle Aufgaben zu erfüllen, wie die älteren ihrer Spezies.
Und das grausigste, was diese Bestien mit ihren Opfern machen, ist
die absolute Tatsache, dass sie ihre Opfer, ob noch lebend oder tot,
auf ihren riesig gigantischen Raumschiffen mitnehmen, sie
einkonservieren, um sie in einem besonderen Verfahren so für
sich und für eine längere Haltbarkeit zur Verfügung
zu haben. Ja, um sie zu fressen, sie fraßen ihre Opfer
während ihrer langen Reisen zu irgendeiner anderen Welt,
die nur das Pech hatte, auf ihrem Weg zu liegen, mit der sie
genauso verfahren werden, wie mit all ihren letzten, denen sie so
viel Elend und Leid zufügten. Ob es Tiere sind, konnte auch
der Heilige Xarmax bisher nicht herausbekommen. Dennoch, es musste
eine Abart von intelligenter Art aus einer Mischung von Insekt und anderem
Tier sein. Was sie so fähig macht: Es muss auch noch eine Art
Mensch oder Goderijaner oder gar eine andere weit entfernte
existierende Spezies, die den Goderijanern und somit auch den
Menschen äußerst ähnlich sind, in ihren
Erbsubstanzen vorhanden sein. Eine andere Erklärung für
ihre Intelligenz und die Fähigkeit, Raumschiffe und Waffen
herzustellen, gab es bei keinem Volk, das mit diesen
grausamen Nohkui in Kampfhandlungen verwickelt war oder wurde.
Als sich Lyr vor seinem Schöpfer, dem
Heiligen Xarmax, zum Abschied in Demut und Treue verbeugte, bekam Lyr
das erste Mal die Hand als Zeichen der ewigen Freundschaft von
Xarmax. Was ihn sehr ehrte. Als Lyr dann den Saal seiner Hoheit
verlassen hatte, machte er sich sogleich auf den Weg zu seinen
Schützlingen, um ihnen diese schreckliche Botschaft zu
unterbreiten. Gerne tat er es nicht, Lyr wusste natürlich, dass
seine Schützlinge sehr sensibel, ärgerlich und zum Teil
sehr ängstlich auf bestimmte Situationen reagierten. Lyr blieb
aber auch nichts erspart, schließlich war er derjenige,
der, wenn es schlechte Nachrichten gab, sie seinen Schützlingen
berichten musste.
Nun gut, dachte sich Lyr. Dann muss ich halt
in den sauren Apfel beißen. Da wird mir wohl oder übel
nichts anderes übrig bleiben. Befehl ist eben Befehl. Es
dauerte nicht sehr lange, bis Lyr in der achten Etage ankam. Im Nu
verließ er den Lift und ging zu den Quartieren, wo seine
Schützlinge das vor kurzer Zeit eingenommene Mittagsessen
beim Ausruhen verdauten. Als erstes ging Lyr zu dem
äußersten Quartier, wo Gregor zu residieren pflegte,
klopfte kurz aber dennoch sehr kräftig an dessen Tür und
ging sogleich zum nächsten und so weiter und so fort. Ja, er
klopfte an alle sieben Quartiere. Dann stellte er sich etwas
abseits und wartete geduldig. Und tatsächlich,
alle Quartiere öffneten sich, eines nach dem anderen. Halt, eine
Tür blieb weiterhin verschlossen, wie konnte es denn anders
sein, es war natürlich Gregors Tür.
»Was gibt's denn so dringliches?«,
fragte Norman, der schon längst neben Lyrs rechter Seite stand.
»Gedulde dich etwas Norman. Tu mir doch
einen Gefallen und sieh bitte nach, wo denn Gregor bleibt, ja?«,
fragte Lyr Norman.
»Aber
sicher, gerne doch, Lyr.«, antwortete Norman und ging sogleich
in Gregors Quartier, öffnete seine Tür, ging hinein, sah
wie er schlief, packte ihn an den Füßen und riss ihn
förmlich aus seinem Bett. Mit einem dumpfen Knall fiel Gregor
neben seine über alles geliebte Bettstätte auf den Boden. Norman
machte sich so schnell aus dem Staube, also aus dem Quartier, dass
Gregor gar nicht mitbekam, dass es eben Norman war, der ihn
gewaltsam aus seinem Schlaf des Gerechten riss.
»Was? Was ist? Oh, muss wohl eingenickt
sein.«, gab Gregor im Selbstgespräch von sich. Während
die anderen noch immer vor den Quartieren auf ihn warten mussten.
Wieso ist denn meine Tür offen? Dachte sich noch Gregor.
Im Nu zog er sich seine abgenutzten Jeans
über, um zu sehen was draußen vor den Quartieren
eigentlich los sei, denn er hörte leichtes Gemurmel auf dem
Gang und zudem war er der festen Überzeugung, dass sich
eine, gewissermaßen seine Tür, nicht von ganz alleine
öffnen könnte. Was für ein kluges Kerlchen du doch
bist, dachte sich noch Gregor im nachhinein und klopfte sich selbst
auf die linke Schulter und als er kurz vor seiner Türe stand,
guckte er noch nebenher nach rechts, wo sich sein Spiegel befand, in
den er verzückt und sinnlich mit einer Wonne hineinsah und sich
selbst ein Handküsschen zuwarf, während er noch im
gleichen Augenblick folgenden Worte an sich selbst richtete:
»Ach, was bin ich doch für ein hübsches Wesen.«
Dann guckte er ganz frech durch den Türspalt,
und als er sie alle auf dem Vorgang stehen sah:
»He Leute, was geht ab, Mann?«,
waren seine Worte.
Wahrlich eine geistreiche Natur, dieser Gregor, dachte sich noch
Lyr, als er nur Gregors Kopf aus dem Türspalt ragen sah.
»Mann, sag mal, bist du jetzt völlig
verblödet oder was?«, schrie Sarah ihm entgegen.
»Gregor, stell dich nicht so an, glaubst du,
ich will den ganzen Tag wegen dir hier auf dem Gang herumstehen?
Komm schon endlich her, Lyr hat uns was Wichtiges zu berichten.«,
warf nun Mary schroff ein.
»Ach so, warum habt ihr das denn nicht
gleich gesagt. Einen kleinen Augenblick nur noch, auf ein
klitzekleines Augenzwinkern und ich bin bei euch.«, gab
Gregor mit einem hinterhältigen Blick und Lächeln in
seinem Gesicht Antwort.
»Sieh dir diesen vermaledeiten Eierkopf
nur an, wenn ich seine Fresse schon sehe, dann könnte ich ihm
eine reinhauen.«, flüsterte Sarah ihrem Vater zu.
»Aber nicht doch, Sarah, so etwas sagt
man doch nicht. Ich weiß, dass Gregor nicht ganz einfach zu handhaben
ist, aber dennoch müssen wir alle zusammenhalten, so oder
so.«, sagte Stephan zu seiner Tochter.
»Gewiss, Papa, aber glaube mir, das ist
so ein schmieriger Fatzke, der dich für ein Butterbrot
verkaufen würde, wenn er einen noch so kleinen Vorteil für
sich darin sähen würde.«, erklärte Sarah ihrem
Vater.
»Ich bitte um etwas Ruhe! Nun gut. Ich
möchte euch die neue Botschaft nicht gerade auf dem Gang
berichten. Ich würde vorschlagen, dass wir gemeinsam in eines
eurer Quartiere gehen, dort sind wir ungestört und können
es uns auch etwas gemütlich machen. Wer meldet sich
freiwillig?«, fragte Lyr.
»Gehen wir doch zu uns, es ist um
einiges größer als die der anderen, wie ihr ja wisst,
wohne ich und Papa zu zweit.«, schlug Sarah vor.
»Ja, Sarah,
dass ist eine ausgezeichnete Idee?«, lobte Lyr Stephans
Tochter. Also gingen allesamt wie sich geeinigt in Stephans und
Sarahs Quartier, um die neue Kunde von Lyr dem Androiden zu
empfangen. Lyrs Schützlinge machten es sich auf den Betten und
Stühlen im Quartier gemütlich.
»So, Lyr, hier sind wir. Was gibt es denn
diesmal so wichtiges zu berichten?«, fragte Katja
neugierig.«
»Gewiss, leider muss ich euch eine
schlechte Nachricht überbringen.« Lyr begann, seinen
Schützlingen Wort für Wort, so wie es der Heilige Xarmax
ihm Aufgetragen hatte, zu erzählen. Als nun Lyr seinen Bericht
an seine Gruppe beendete, verschlug es doch den meisten den Atem.
»Tja, meine Lieben, das ist alles, was
ich euch zu der jetzigen Lage sagen kann. Wir sollten diesbezüglich
das Beste aus dieser unangenehmen Lage machen und uns aufs
wesentliche konzentrieren. Ihr habt noch bis um 19 Uhr 30 Zeit, euch
in der Vorhalle in der untersten Etage einzufinden. Dort werde ich
euch erwarten. Ich werde dann dafür Sorge tragen, dass ihr
das Mutterschiff Surenech ohne besondere Zwischenfälle
erreichen könnt.«, sagte Lyr.
»Wieso, was für besondere
Zwischenfälle könnten denn auf dem Weg zum Schiff
auftreten?«, wollte nun Gregor wissen, der sich meistens
meldete, wenn sich irgend etwas nicht ganz geheuer anhörte, also
wenn er Gefahr witterte. Dabei ging es ihm aber nicht um seine
Kollegen, nein im Gegenteil, hierbei ging es Gregor nur um seine
eigene Haut.
»Nun, Gregor, das ist ganz einfach zu
beantworten: Ich habe aus zwingenden Sicherheitsgründen
sämtliche Sicherheitsvorschriften deutlich
verschärft. Ihr solltet euch deswegen keinerlei Gedanken
machen. Das wäre unnötig. Und im Übrigen, die
Quartiere sind für jeden von euch die gleichen geblieben. Wir
haben nichts verändert. Ich hoffe doch, dass es euch recht
ist.«, erklärte Lyr weiter, worauf alle mit einem
Kopfnicken bejahten.
»So, ihr habt noch ein paar Stunden
Zeit, um euch etwas zu erfrischen und die Koffer zu packen. Ach
ja, wenn ihr gepackt habt, stellt das Gepäck und was ihr sonst
noch mitnehmen möchtet, einfach auf den Flur vor eure Türen.
Es wird in den nächsten Stunden von dort abgeholt und in eure
Quartiere aufs Mutterschiff gebracht werden. Gut, dann sehen wir uns
in wenigen Stunden, so gegen halb acht, in der großen Vorhalle
in der untersten Etage. Ich werde euch dort erwarten und ins
Mutterschiff begleiten.«, erklärte Lyr erneut, verließ
das Quartier und ging seines Weges.
Da saßen sie nun, sich gegenseitig
musternd, stumm, und ein jeder für sich in seinen Gedanken
versunken. Eine ganze Weile verging, bis sich die Runde ihrer
ernsten Lage bewusst wurde. Plötzlich und wie aus heiterem
Himmel, fing Sarah an zu weinen. Stephan, ihr Vater, konnte sie
nicht weinen sehen und nahm sie daraufhin fest in seine Arme. Doch
seine Tochter wollte oder konnte sich nicht beruhigen. Nun wurde aus
dem Weinen ein lautes Schluchzen bis hin zum hysterischem Geschrei.
Sogleich entließ Stephan Sarah aus seinen Armen und drehte seine
Tochter zu sich, um in ihr Gesicht sehen zu können.
Anschließend packte er sie mit seinen beiden Händen an
ihren Schultern und begann, sie kräftig zu schütteln. Er
schüttelte so kräftig, dass Sarahs Kopf nach vorne und
nach hinten schleuderte. Als dennoch der Versuch trotz
Allheilmittel nicht fruchtete, bzw. fehlschlug, kam Mary flink
wie ein Wiesel von dem Stuhl, auf dem sie saß, aufgesprungen
und gab Sarah wieder Willen eine kräftige Ohrfeige. Auf einen
Schlag hin kehrte bedrückende Stille im Quartier ein. Sehr
komisch und dennoch respektvoll guckte der Rest der Gruppe Mary an.
Auch Mary nahm nun Sarah in den Arm. Nach einigen Minuten hatte
diese sich wieder beruhigt. Keiner war ihr für diesen Ausbruch
der Gefühle böse. Jeder der Gruppe erlebte seit seiner
Entführung so einiges, was aus einer Mischung von Angst und
Verzweiflung sich gegen sich selbst richtete und man glaubte
jeden Moment den Verstand verlieren zu müssen. Es war nun mal
so, der eine verkraftete bestimmte Situationen besser, der andere
eben nicht. Ist sozusagen etwas weicher besaitet.
»Wisst ihr was? So langsam habe ich die
Schnauze gestrichen voll. Seht euch meine Tochter an. Sie ist fix
und fertig. Das kann und will ich ihr nicht mehr länger
zumuten.«, sagte Stephan mit Tränen in den Augen, um auch
ein bisschen seiner Schwäche zu verbergen. Natürlich
meinte Stephan was er sagte, doch nicht nur wegen seiner Tochter, vielmehr
auch wegen sich selbst.
»Stephan, es ist doch nur natürlich,
dass du dir Sorgen um deine Tochter machst. Doch bedenke: Wir dürfen
jetzt nicht die Nerven verlieren oder gar resignieren. Wir müssen
zusammenhalten, ja gemeinsam diese Zeit durchstehen.«, sagte
Katja in der Hoffnung Mut zu machen.
»Ja, ich
weiß, dass du Recht hast, Katja. Aber durch diesen kriegerischen
Zwischenfall mit diesen Bestien, den Nohkuis, und den
Goderijanern mit ihren verbündeten Apaloss, wird sich der
Aufenthalt auf dem Mutterschiff um ein Vielfaches verlängern.
Verlängern, obwohl wir hier schon alles hätten erledigen
können. Ich will nicht feige sein, aber das bin ich nun mal,
ich habe Angst um meine Tochter, ich habe um euch Angst, und ich
habe Angst um diese Goderijaner, ja ich hatte manches Mal so viel
Angst in den letzten Jahren, dass ich das Gefühl bekam, diese
Angst frisst mich Stück für Stück innerlich auf. Ich
bin nicht der einzige in Gruppe, der nach Hause will. Aber es geht
nicht alleine um mich, nein, ich kann und will nicht miterleben
müssen, dass, wenn wir nach unserer Flucht wieder auf
diesen Planeten dürfen, wir mit ansehen müssen,
was den Überlebenden an Leid und Elend widerfuhr,
könnt ihr das nicht verstehen? Wenn es dann so
weit ist und Goderijan von diesem Nohkui-Kampfkreuzer
angegriffen wird, könnt ihr euch darauf verlassen, dass
von den Goderijanern, die sich noch auf dem
Planeten befinden, nicht viel überleben werden! Wir haben
die Möglichkeit, uns wie kleine stinkende Ratten zu
verkriechen, doch die meisten der Goderijaner, denen wir den Namen
Dogon gaben und die unsere Freunde geworden sind, nicht. Keiner
kann diesen armen Goderijanern mehr helfen. Weil diese Dummköpfe
von Apaloss den Goderijanern, nachdem die Nohkui sich schon im
Angriff befinden werden, durch ihr eigenes Versagen erst einen
Tag, ja einen ganzen Tag, später zu Hilfe eilen können. Ja,
am morgigen Tag wird das Schicksal dieses braven Volkes besiegelt
werden. Nur weil seine Verbündeten zu dumm gewesen sind, diesen
lumpigen Trick der Nohkui, denen wir nachsagen, dass sie wie Tiere
denken und fressen, zu durchschauen. Ich sehe schwarz, dass wir
Menschen irgendwann unsere gute alte Erde mit ihrem
wunderschönen azurblauen Leuchten jemals wiedersehen
werden. Wir werden bestimmt in irgendeinem gottverlassenen
Quadranten auf diesem Mutterschiff, dieser verdammten vermaledeiten
Blechbüchse, auf ewig versauern müssen.«, äußerte
sich Stephan etwas mitgenommen.
Norman und Katja hatten um einiges mehr
Erfahrung als der Rest der Gruppe, sie waren ja auch schon
einige Jahre länger an Bord der Surenech und somit
auch qualifizierter,
und sonderbarerweise auch Mary Ritley, konnten erkennen, dass der
Rest der Gruppe völlig mit den Nerven am Ende
war. Kein gutes Vorzeichen, dachte sich noch Norman und guckte Katja
und Mary sorgenvoll an, die seine Blicke mit dem gleichen
Erschaudern erwiderten. Denn sollte es wieder mal brenzlich
werden, und einer von ihnen in eine heikle Situation geraten,
einen Schock oder gar einen Nervenzusammenbruch erleiden, könnte
diese Katastrophale Folgen mit sich ziehen, nicht nur für
die Betreffenden, nein, auch für Norman, Katja und Mary.
Es würde sich in der Sache Flucht oder gar wenn nötig,
der Selbstverteidigung, für alle eine schlechte Position
ergeben.
»Stephan,
falls all das, was du befürchtest, sich wirklich
ereignen wird, dass viele Dogon sterben müssen, du dieses Elend
mit ansehen musst, natürlich ist es eine Grausamkeit für
jeden von uns. Auch wir sind nicht aus Eis oder gar Gestein. Genau
wie du fürchten wir uns und genau wie du haben wir um einander
Angst und auch Angst um das Volk der Dogon. Wir dürfen jetzt
erst recht nicht die Nerven, und was noch viel wichtiger ist, die
Beherrschung verlieren. Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren
und auf einander aufpassen und uns beschützen. Unsere äußerste
Direktive sollte jene sein, die uns als Mensch mit in die Wiege
gelegt worden ist, nämlich Mensch zu bleiben. In die
kriegerischen Handlungen dürfen wir uns nicht einmischen.
Dieser Krieg ist nicht der unsrige. Außer, jemand trachtet uns
nach dem Leben. Da, und nur da, gilt das Gesetz des Stärkeren.
Unabhängig wo man sich gerade befindet. Also fressen oder
gefressen werden. Punktum. Und zum zweiten: Es ist uns allen ein
innigster Wunsch, wieder nach Hause zu dürfen. Ich glaube, da
spreche ich für jeden von uns. Dennoch, einfach nach Hause zu
fliegen, würde uns Menschen in ein noch tieferes geistiges und
seelisches Loch werfen, als wir je verkraften könnten. Zwei
Fragen würden uns ein Leben lang quälen und nicht mehr
schlafen und leben lassen: Erstens, haben die Dogon mit Lyr und der
Heilige Xarmax mit seinem ehrenwerten Rat überlebt? Und
Zweitens, wenn sie überlebt haben und wir geblieben wären,
hätte dieses Volk doch noch von ihrer so
schrecklichen Krankheit geheilt werden können? Wir müssen
endlich akzeptieren, dass es nun mal Dinge auf Goderijan gibt, die
wir nicht verändern können und ich glaube auch nicht
wollen. Doch das, was in unserer Macht liegt, sollten wir mit
vereinten Kräften und ohne dabei an uns Selbst zu denken, tun.
Auch auf die Gefahr hin, einen unserer Liebsten verlieren
zu müssen. Meine Meinung ist: Wir acht Menschen wiegen nicht so
viel auf, wie Billiarden von einer liebevollen und gutmütigen
Spezies, die von Gottes Hand erschaffen wurde. Ich
jedenfalls werde alles tun, was vom Heiligen Xarmax und von unserem
Androiden Lyr verlangt wird. Ich werde nicht nach Hause fahren, ehe
in diesem Quadranten nicht alles wieder in Lot ist. Das ist alles,
was ich dazu zu sagen habe. Das schwöre ich, so wahr mir
Gott helfe.«, gab Norman erregt von sich.
»Du, Norman, ich schließe mich dir
natürlich an, und ich glaube, dass es alle anderen auch tun
werden. Doch ehrlich gesagt, wann glaubst du denn, dass wir endlich
wieder nach Hause dürfen?«, wollte nun Gregor wissen.
»Nun, Gregor, von 'dürfen' ist hier
nicht die Rede. Mir ist von Lyr, durch den Heiligen Xarmax
bestätigt worden, dass wir jederzeit wieder nach Hause können.
Er selbst hat es als einen Fehler von sich selbst beschrieben uns nicht
lieber erst kontaktiert und mit uns verhandelt zu haben, statt uns
einfach so zu entführen. Wir bräuchten nur Lyr Bescheid
geben und wir werden nach Hause gebracht. Der einzige Nachteil ist
der, dass wir in einem kleineren aber dennoch komfortablen
Raumschiff die Heimreise antreten müssten.«, erklärte
Norman eifrig.
Dann guckten alle dumm aus der Wäsche,
als könnte keiner bis drei zählen. Norman spürte,
dass einige, wenn nicht sogar alle, ernsthaft darüber
nachdachten, sich für die Heimreise zu entscheiden. Ausgenommen
Katja und seine Wenigkeit. Denn sie konnten sich von ihrem
Versprechen, den Dogon zu helfen und sie von ihrer Krankheit zu
heilen, nicht einfach entbinden, was sie bisher ja auch nicht
vorhatten. Selbst Mary, die sonst so starke Persönlichkeit,
verfing sich im Grübeln. Norman und Katja hatten von diesem
hin und her, langsam genug. Sie wollten heute und hier von ihren
Kollegen eine Entscheidung. Die einen endgültigen, hieb- und
stichfesten Punkt mit sich führen und setzen sollte. Und sie
beschlossen, kein Wenn und Aber zu akzeptieren, sondern auf einem
klaren Nein oder Ja zu bestehen, das fortan wie ein Vertrag gelte und
nicht abgeändert werde konnte.
»Also, hört mal alle her, Katja und
ich haben euch nun etwas mitzuteilen.«, rief Norman in die
Runde, die sogleich aufhorchte.
»Okay, meine Freunde, Katja und ich
bemerkten gleich, was in euch vorgeht und wie ihr euch fühlt.
Eines noch vorweg: Egal wie ihr euch entscheiden werdet, Katja und
meine Wenigkeit werden so lange wir leben eure Freunde bleiben.«,
sprach Norman.
»Was für eine Entscheidung denn,
wovon sprichst du überhaupt, Norman?«, fragte dümmlicherweise
nun Gregor.«
»Ach, Gregor und ihr alle, versucht uns
bitte nicht zum Narren zu halten, ich glaube das haben Katja und
ich wahrlich nicht verdient.«, konterte Norman etwas
verärgert, wonach seine Kollegen ein bisschen beschämt
auf den Fußboden starrten.
»Wie schon
gesagt, wissen wir, wie ihr euch im Augenblick fühlt. Was ganz
verständlich ist. Dennoch müssen Katja und ich auf einer
klaren, definitiven und zudem einer unveränderlichen Antwort
bestehen. Katja, du hast das Wort.«, sagte Norman.
Katja bedankte sich bei Norman, drehte sich zu
dem Rest der Gruppe und schenkte dieser einen intensiven und
warmherzigen Blick. Eine Zeitlang verblieb Katja in diesem Status
des Forderns.
»Wer von euch möchte mit einem
dieser kleineren Raumgleitern nach Hause, zurück in
seine Zeit. Ich möchte, wie schon gesagt, kein Wenn oder Aber,
oder irgendeine Zeitverschlingende Begründung, wieso und warum,
hören. Nein, nur die Antwort, ja ich oder ich nicht.« Also,
wer von euch. Keiner ist euch deswegen böse, denn schließlich
seid ihr ja nicht so ganz freiwillig hier. Norman glaubte, sich
verhört zu haben, er hatte eigentlich erwartet, dass Katja dem
Rest der Gruppe auf irgendeine Weise Honig auf ihre Lippen
schmieren würde, nein, im Gegenteil. Katja, so Norman baff, sie
knallte der Gruppe förmlich eine Entscheidung zu treffen vor
die Füße. Wieder herrschte bedrückende Stille.
Einige Minuten ging es so weiter und weiter und weiter. So ging
Norman aus der Gruppe und nahm Katja mit. Etwas abseits stehend sah
er Katja tief in die Augen.
»Was ist denn, Norman?«, wollte nun
Katja wissen.
»Katja, so kannst du nicht vorgehen. Du
kannst sie doch nicht so unter Druck setzen. Was ist eigentlich mit
dir los?«, schimpfte Norman nun mit seiner Schwester. Katja sah
wiederum Norman an.
»Du hast Recht, entschuldige Norman, aber
ich habe Angst sie alle zu verlieren.«, erklärte Katja
etwas traurig.
»Ich weiß ja, Katja, meinst du, mir ergeht
es anders? Sie sind mir genauso ans Herz gewachsen wie dir. Eine
Entscheidung, das ist mir bewusst, brauchen wir. Da hattest du ja
vollkommen Recht, doch konntest du dabei nicht ein wenig
einfühlsamer vorgehen?«, wies Norman darauf hin.
»Sicherlich, aber du kennst sie doch.
Sie hätten wieder mal eine Staatsaffäre daraus gemacht.
Dieses ewige Sich-dahin-ziehen in den Gesprächen. Ich kann es
nicht mehr ertragen. Entweder man weiß, was man tut und was man ist,
oder was man möchte, es kann doch nicht sein, dass man ständig
seine Richtung ändert, jeder sollte sich doch an einem Ziel
orientieren und es hartnäckig auf Teufel komm raus verfolgen.
Meinst du nicht, Norman?«, warf Katja nun kritisierend ein.
»Natürlich
Katja, da bin ich ganz deiner Meinung. Doch du darfst nicht
vergessen, dass sie anders in ihren Herzen fühlen und menschlich
gesehen etwas schwächer als wir es sind.
Außerdem: Hast du schon vergessen, dass wir andere besondere
Fähigkeiten besitzen als unsere Freunde? Zeige ein bisschen
mehr Verständnis, und vor allem, übe dich in Geduld, so
wie ich es meist tue. Wir können doch sowieso nicht verändern,
wofür wir bestimmt sind. Das gleiche gilt auch für
die anderen in unserem Haufen.« Ja, Norman konnte Katja mal wieder
beruhigen. Aber er schämte sich innerlich zutiefst, weil
er am liebsten 'ich' gerufen hätte, als Katja den Rest
der Gruppe fragte, wer nach Hause möchte und sie dann sehr
hart zu einer Entscheidung drängte. Doch für Norman
galten diese Gedanken nicht, er verdrängte sie, würde eher
sterben, ja jeden verdammten Wunsch ablehnen und sei er noch so
verlockend. So wie er dachte auch Katja. Dem war sich Norman ganz
sicher. Kaum hatte Norman Katja beruhigt, kam der Rest der Gruppe
zu ihnen.
»Katjas so entscheidende Worte haben
uns ziemlich nachdenklich gestimmt. Und wir kamen zu dem eindeutigen
Entschluss, dass wir zusammenbleiben sollten, komme, was da
wolle. Entweder wir stehen alles gemeinsam durch oder gar keiner.
Katja und Norman blieb sprichwörtlicherweise die Spucke
weg. Sie konnten es erst gar nicht so richtig glauben. Doch es
entsprach der Wahrheit, als sie sich alle zu einem Kreis zusammenschlossen
und gemeinsam die Hände aufeinanderlegten und
dann eine gewisse Formel ganz laut und deutlich ausriefen:
»Für immer und ewig verbunden.«
Immer, und immer wieder, riefen sie diesen einen
Satz. Sie steigerten sich dermaßen in diese Art Ritual
hinein, dass man glauben konnte sie wären für eine Art
Sekte tätig. Was natürlich absurd war. Nein, sie hatten
lediglich etwas gefunden, womit sie sich abreagieren und Mut machen
konnten. Nach einer gewissen Weile beruhigten sich die Gemüter
wieder etwas.
»So, ich werde mich jetzt unter die
Dusche schmeißen.«, sagte Norman und verabschiedet sich
für kurze Zeit von der Gruppe, denn es war ja alles Wichtige
gesagt und vereinbart worden. Bei dem Wort 'duschen' schlossen sich
einige an und gingen auch in ihre Quartiere, bis auf zwei der Gruppe,
sie blieben noch zusammen. Es waren Katja und Mary.
»Du, Katja, kann ich dich mal was
Fragen?«, bat Mary nun Katja.
»Na klar doch, Mary.«, antwortete
Katja.
»Weißt du, noch vor der Entscheidung da
wurde ja auch davon gesprochen, dass wir viele Jahre verlieren
werden, die wir auf unserer Heimreise in Kauf nehmen müssen,
wenn es nicht immer diese ständigen Verspätungen der Dogon
gäbe. Genau wie jetzt der auf sie zukommende Angriff dieser,
wie heißen die noch mal?«, unterbrach Mary ihren Satz.
»Apaloss, meine Liebe, sie heißen
Apaloss.«, gab Katja ihr Schützenhilfe.
»Ah ja, genau, die Apaloss. Gut, und ich
würde zu gerne wissen, wie es sich in unserer Zukunft auswirken
wird.«, ja, das war gar kein so schlechter
Grundgedanke den hier die kesse und kluge Mary Katja
entgegenwarf. Dennoch, auch Katja war nicht ganz ohne. Aber in
Katja machte sich keinerlei Konkurrenzdenken breit. Viel zu wichtig
war es für sie, nun kühlen Kopf zu bewahren. Es gab
schließlich wichtigeres zu tun. Dennoch, beantworten wollte Katja
diese eine Frage schon, die Mary ihr stellte.
»Mary, du
darfst nicht vergessen, dass wie von dieser Zeit, in der wir uns jetzt
befinden, sprechen und nicht von jener, aus der wir einst kamen. Es
ist doch so: Wenn der Tag kommen wird, an dem wir unsere so lang
ersehnte Heimreise antreten werden, dann sind, bis wir unseren
wunderschönen azurblauen Planeten Erde betreten,
mindestens, nicht weniger als über dreißig, ich sage mal,
Galaxienjahre, vergangen. Jedoch, betreten wir unseren Planeten,
wird sich durch die Zeitschleife, die wir durchflogen, ganz und gar,
aber auch wirklich alles verändert haben. Was wir hier im
Quadranten der Goderijaner erlebt haben, wird in dieser unseren
Zeit, also in dem Quadranten wo sich unsere Galaxie und unser
Planet Erde befindet, außer unseren Erinnerungen, wenn wir sie
behalten wollen, trotzdem nichts mehr übrig sein. Sozusagen
nicht existent. Es hat sich somit nichts, aber auch rein gar nichts
zugetragen und ihr werdet punkt- und zeitgenau dort euer
gewohntes Leben weiterleben, wo ihr von den Dogon, also den
Goderijanern, entführt worden seid.«, erklärte
Katja.
»Du meinst, das war's dann wohl,
du meinst, wir waren überhaupt nicht auf Goderijan, auch wenn
wir uns daran erinnern können?«, fragte Mary etwas
schockiert.
»So in etwa. Lass mich dir ein Beispiel
nennen: Sagen wir einmal, wir, A, möchten eine über
Lichtjahre weit entfernte lebende Person, die wir B nennen, an jenem
Ort besuchen. Also schicken uns, sagen wir einmal, unsere
Vorgesetzten A, nach jenem Ort, wo sich unsere Zielperson B
befindet. So weit, so gut. Als wir diese Person B wieder
verließen und zurück bei unserem Vorgesetzten A
ankamen, wären diese Vorgesetzten, die uns nach B schickten, schon
längst gestorben, also nicht mehr existent.«, erklärte
Katja. Das heißt, die Lichtgeschwindigkeit und die dadurch
verursachte Raumverzerrung folgt jenem Naturgesetz. Zukunft ist
gleich Vergangenheit und Vergangenheit ist gleich Zukunft. Da gibt
es auch ein kleines Sprichwort von mir: Was einst in der Ferne
geschah, ist nicht mehr Bestand, wo es woher war. Natürlich
gilt dies auch umgekehrt.
»Mann, ich will ja nicht behaupten, dass
ich als Kind auf den Kopf gefallen wäre, dennoch beginne ich an
mir selbst zu zweifeln. Ich muss ehrlich zu dir sein, Katja, ich
verstehe nur Bahnhof.«, gab Mary offenherzig und etwas
beschämt zu.
»Ach was, das macht doch nichts, Mary,
glaube mir, ich habe verflucht lange gebraucht, um diesen ganzen Mist
zu verstehen. Doch wie wir ja schwerlich erkennen müssen,
trifft dies einfach zu.«
» Aber was ich nicht verstehe, ist, wie
ist es dann nur möglich, dass, wenn wir wieder nach Hause
kommen, überhaupt keine Zeit vergangen ist. Ich meine, die
müssten doch dann auch alle tot sein.«, eine berechtigte
Frage, die da Mary an Katja stellte.
»Das kann ich dir offen gesagt auch
nicht erklären. Darüber haben mir die Goderijaner noch
nichts erzählt. Mag sein, dass es mit dieser sogenannten
Zeitschleife zu tun haben muss, in der wir ja zu den anderen
Galaxien gelangen. Wir hingegen redeten ja von Lichtgeschwindigkeit
und nicht von dieser Zeitschleife. Muss mich mal bei der nächstbesten
Gelegenheit an Lyr ranschmeißen und ihn mal wieder so
richtig ausquetschen.«, lächelte Katja amüsiert die
Hände reibend.
»Ja, tu das, Katja. Ich werde mich jetzt
auch etwas frisch machen gehen. Also, bis bald, Katja?«,
verabschiedete sich Mary.
»Tja, gar keine so schlecht Idee. Das
werde ich jetzt auch tun.«, dachte sich noch Katja.
Nachdem alle wieder in ihren Quartieren verschwanden, kehrte auf
dem Flur wieder Ruhe ein.
*
Währenddessen im untersten Stockwerk, wo sich die Vorhalle zum Mutterschiff befand:
Von dort aus wurde das
Mutterschiff mit allem beladen, was man für Jahrzehnte zum Überleben brauchte, wenn
es notwendig sei. Die Stunden
vergingen wie im Fluge, das Gepäck wurde bereits vom Personal
des Mutterschiffes auf dem Flur eines jeden Quartiers eingesammelt
und auf das mächtige Raumschiff Surenech gebracht.
Die Gruppe
hatte sich geeinigt, sich um Punkt 19 Uhr 15 mal wieder vor dem
Lift zu treffen, um sich dann mit Lyr in der Vorhalle zu treffen. Und es
war so weit. Einer nach dem anderen tappselten sie irgendwie
gelangweilt in Richtung Lift.
»Mann, seht euch das mal an! Gregor
geruht mal etwas eher in Erscheinung zu treten.«, lästerte
Susanne, die dieses Mal als letzte an den Lift kam und zu ihrem
Erstaunen Gregor vor dem Aufzug erspähte. Da ja sonst
Gregor immer das Schlusslicht bildete.
»Ha, ha. Witz komm raus, du bist umzingelt.«,
konterte Gregor mit einem hämischen
Gesichtsausdruck.
Dann fuhren alle in die unterste Etage. Dort
angekommen sahen sie schon Lyr von weitem, der gerade ein paar
Dogon irgendwelche Anweisungen zu geben schien. Angekommen standen
sie vor Lyr, der weitere Anweisungen an die Besatzung des
Mutterschiffes verteilte. Brav, geduldig und vor allem schweigsam
hörte die Gruppe Lyr zu was er so sagte.
»So, Besatzung, auf eure Stationen bitte.«
Im Nu traten sie weg und verließen die
Vorhalle nach draußen hin, wo das Mutterschiff flugbereit
stand.
Sofort drehte sich Lyr um und begutachtete
seine Schützlinge aufs Genaueste.
»Aha, da seid ihr ja, meine Lieben.
Einen Moment noch bitte, ich habe noch eine Anweisung zu tätigen.«,
bat Lyr seine Schützlinge um etwas Geduld.
Lyr wandte nun seinen Blick in die Richtung
von wo die Gruppe eben herkam. Neben dem Lift marschierten viele
Paare durch eines der großen Tore. Kurz vor Lyr blieben sie
dann stehen und horchten auf.
»Willkommen,
der ihr auf Geheiß unseres Heiligen Xarmax vom
Hauptcomputer auserwählt wurdet und mit uns auf die Reise geht.
Eure Quartiere befinden sich gleich auf der linken und
rechten Seite des Einganges. Jeweils einem Paar wird ein
Quartier zugeordnet. 50 Paare nehmen die Quartiere auf der linken
Seite und bekommen ein rotes Gürtelband, das sie sich um die
Hüften legen werden. Die restlichen 50 Paare, die ein gelbes
Band bekommen, gehen in die Quartiere auf der rechten Seite und
legen es sich genauso um die Hüften wie die anderen. Vergesst
bitte niemals eure persönlichen Bänder zu tragen, wenn ihr
das Quartier verlasst und versucht auch nicht, diese Bänder
untereinander auszutauschen, das würde nur zu einem unnötigen
Alarm führen. Es befindet sich nämlich in jedem Band ein
individueller Sensor, der nur auf seinen Besitzer
reagiert, sobald er eingeschaltet ist. Er verzeichnet nach Verlassen
des Quartiers sämtliche Aktivitäten, die ihr während
der Reise absolviert, bzw. tätigt. Haben das alle verstanden?
Gut. Und noch etwas: Diese weitere Order kommt von unserem Heiligen
Xarmax persönlich. Ab sofort ist es strengstens verboten, die
goderijanische Sprache zu sprechen. Auch die geistige Kommunikation ist
während der ganzen Reise strengstens untersagt. Noch Fragen
dazu? In Ordnung, dann könnt ihr jetzt auf eure Quartiere gehen.
Den heutigen Tag habt ihr frei.« So, gingen die 100 Paare auf
einen Tisch zu, wo zwei Dogon die Bänder an sie verteilten.
»So, meine Lieben, jetzt habe ich Zeit
für euch.«, sagte Lyr mit weicher Stimme.
»Sag mal, Lyr, was soll das Ganze mit
diesen verwanzten Bändern, sollen wir die etwa auch tragen?«,
fragte nun Katja betont scharf.
»Aber nein, nicht doch. Ihr, meine Lieben
seid natürlich davon ausgeschlossen.«, sagte Lyr sehr
freundlich.
»Ja, und warum müssen diese Paare
die Bänder tragen?«, fragte Stephan mit gerunzelter
Stirn berechtigterweise.
»Ich habe gewissermaßen nur die
Sicherheitsmaßnahmen etwas erhöht. Aber das sollte euch
nicht beunruhigen, oder?«, wollte Lyr nun wissen.
»Aber nicht doch, in keiner Weise.«,
antwortete Stephan und auch die anderen bejahten dies mit einem
Kopfnicken. So, seid ihr bereit, so lasst uns auf das Schiff gehen
und starten.«
Mit kleinen und zögernd wirkenden Schritten schritt die
Gruppe der Acht mit Lyr als Begleitung aus der Halle und
verschwand nach einer Weile im Bauch des so gigantischen
Mutterschiffs mit dem Namen Surenech.
Man könnte meinen, dass ein Raumschiff von so
enormer Größe beim Starten, also beim Abheben, einen
ungeheuren Lärm produzieren müsste, doch weit gefehlt. Sanft
und nur mit einem leichten Summen hob diese etwa so groß wie 150
Fußballfelder große fliegende Stadt vom Boden ab und
schraubte sich förmlich in den Himmel empor, um dann pfeilschnell
die dicken Wolkenfelder zu durchdringen und sich dann in
den Weiten des Weltalls zu verlieren.
*
In der Zwischenzeit im Thonsaal des Heiligen Xarmax:
Xarmax stand wieder einmal vor einem
globalen, sagen wir einmal, Holocaust. Er fühlte sich am
heutigen Tag nicht besonders wohl. Kein Wunder auch. Der einzige
Trost, der Xarmax heute blieb, war wohl die Entscheidung, die
Menschen und einige seines Volkes mit dem Mutterschiff schnellstens
in Sicherheit geschickt zu haben. Sollte das Unausweichliche geschehen,
dass sein Volk oder gar der ganze Planet vernichtet werden wird,
bliebe ihm wenigsten die Hoffnung auf die letzten Überlebenden
seiner Spezies, die seine Gebote und seine Erbsubstanz auf einen
neuen Planeten tragen und zu neuen Generationen erblühen
werden. Die schreckliche Krankheit wird natürlich auch weiterhin
über die Überlebenden herfallen, denn bis neue Kammern der
Seelen errichtet werden könnten, würden auch wieder viele, viele Jahre
vergehen und neue Generationen entstehen. Doch dies sollte
mit eisernem Willen kein Hindernis darstellen, da Lyr, sein Androide,
ein wandelnder Computer ist. In ihm sind sämtliche und
unlöschbare Informationen, Anleitungen und alles was dazu
gehört, eingespeichert, um eine ganze Stadt zu gründen und
zu verwalten. Lyr kann zum Beispiel nicht sterben und somit von
Generation zu Generation den Nachkommen alles erdenkliche Wissen
zu diesem Neuanfang lehren. Xarmax lief in seinem Thronsaal auf und
ab, dabei verging Stunde um Stunde. Wann auf den Punkt genau die
Nohkui angreifen werden, wusste natürlich Xarmax auch nicht. Doch
dass der Angriff die nächsten 21 Stunden erfolgt, ist gewiss.
Xarmax sandte noch vor Stunden einige Außenposten
den Nohkui entgegen, so dass er und sein Volk wenigstens eine
Vorwarnzeit von 4 bis 5 Stunden hatten. Das ist zwar nicht
viel, aber dennoch besser als gar nichts, so dachte sich Xarmax.
Für Xarmax bedeutete dieses Warten, dieses hilflose Warten, ein
Sterben, Stück um Stück, seines innersten Selbst, ja,
dieser Thronsaal war für Xarmax ein Ort quälender
Ohnmacht geworden. Xarmax machte sich schreckliche Vorwürfe.
Hätte er tatsächlich gegen die Heilige
Ordnung, die ja seit vielen Tausenden von Jahren bestand, gegen die
oberste Direktive verstoßen sollen, nämlich Gewalt
mit Gegengewalt zu vergelten, und nicht umgekehrt? Und hätte er
seit Beginn seiner Regentschaft Waffen von übelster Art bauen
lassen sollen, die eigentlich nur dazu dienten, Tod und Verderbnis
zwischen den Völkern zu bringen, so dass er und sein Volk sich
bei dem Angriff auf die Hauptstadt nun hätten verteidigen
können? So viele Fragen, auf die er keine Antwort mehr
hatte. So oder so, betrübt würde mein Geist und Seelenheil
dennoch bleiben und sich tief in meinem Herzen vergraben, dachte
sich Xarmax.
»Oh ihr Xarmaxes, die ihr vor mir
Goderijan zu einem blühenden Planeten der Herrlichkeit machtet,
was soll ich nur tun, was kann ich überhaupt noch tun, gebt mir
euer geistiges und seelisches Heil!«, bat Xarmax auf seinen
Knien um Rat und Hilfe bei seinen unzähligen Vorgängern.
Doch er bekam keinerlei Hilfe, keine Antwort auf seine Fragen, rein
gar nichts. Er war nun mit seinem Volk allein auf sich gestellt und
hilflos. So hilflos, dass er in wenigen Stunden mit ansehen musste,
wie sein Volk dahingemetzelt wurde und sein Planet geplündert,
ja vielleicht sogar zerstört wird. Xarmax beschloss, seine
letzten Worte per Signal an Lyr, seinen getreuen Androiden zu
übermitteln. Xarmax' letzte Worte klangen trotz des Todes vor
Augen ermutigend. Er empfand trotz alledem keinerlei Hass, selbst
seiner Feinde gegenüber. Er trachtete stets auf
Einhaltung der Gebote. Er liebte sein Volk mit allen Sinnen, die ihm
bei seiner Ehrung der Regentschaft übertragen worden waren. Und
Xarmax bat, auch darin möge sein späterer Nachfolger in
Frieden und Harmonie mit allen Völkern dieses Weltenraumes in
Koexistenz leben. Auch an die Spezies Mensch fügte er einige
hinzu. Darin bat er nicht nur um Verzeihung für die vielen
misslichen Umstände, die durch seinen Willen entstanden sind,
sondern gab auch einige weise und nützliche Ratschläge für
einen dauerhaften Frieden zwischen den Völkern unter den
Menschen selbst. So schloss Xarmax sein Memorandum im festen
Glauben, dass es eines Tages keine Kriege mehr geben wird.
Kapitel 18, Flucht vom Planeten Goderijan, Teil 2
Anfang und Kapitelübersicht
© 2012 by Peter Althammer
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