Kapitel 2
Die Entführungen
Es war für Norman offensichtlich, dass
irgendetwas Außergewöhnliches mit ihm geschah. Ein
Ereignis, das er zu diesem Zeitpunkt weder begreifen noch
verarbeiten konnte. Er fühlte sich noch immer hundeelend.
Grenzenlose Hilflosigkeit machte sich in Norman breit. Er fühlte
sich so einsam in seinen Gedanken und seiner Gefühlswelt, dass
sich in ihm Traurigkeit einstimmte. Er hatte seit dem Kontakt mit
diesen Wesen das unbändige Verlangen, diese seine Welt zu
verlassen. Er hatte Heimweh zu einer Welt, die er überhaupt
nicht kannte. Nur die Bilder in seinen Visionen jener Ereignisse von
dieser fernen und wunderschönen Welt, eingehüllt von einem
grauen Schatten der Verzweiflung, sind ihm geblieben. Vor seinen
Augen spielte sich immer wieder das gleiche Szenario ab, so dass es
ihm schwer fiel, sich auf seine eigentliche Aufgabe zu
konzentrieren. Wie eine pulsierende Ader, die im gleichen Takt das
Zeichen des Lebens setzte, so setzten, ja so pflanzten fremde
Lebensformen ihr Leid in Normans Seele und dessen Geist. Für
kurze aber immer wiederkehrende Abstände befand er sich in
einer neuen Ära des Seins und der damit verbundener Zeit. Endlich,
an dem kleinen Bahnhäuschen angekommen, ein letzter Versuch,
sein Erlebtes mit seiner und der Uhr des Bahnhäuschens
gleichzustellen. Wie ein kleines Kind, das es nicht abwarten kann,
dass Geburtstagsgeschenk auszupacken, ja so sehr sehnte sich Norman
nach einem Beweis des Erlebten. Aber auch diese Uhr ging ihren
normalen Lauf. Dem Lauf seiner Zeit in dieser, seiner Welt. Und
wieder kamen Zweifel in Norman auf. War es doch ein Phänomen?
Durch die Irreführung, die sich in seinem Kopf abspielte?
Es ist zum Weinen, ich fühle noch immer
die Verzweiflung und Traurigkeit, die von diesen Wesen ausging.
Das ständige Verlangen, sie aus ihrer ernsthaften Not
befreien zu müssen. Es ist zum Haare ausraufen! Wie soll ich
ihnen nur helfen? Und dann dieses bedrückende Gefühl der
Einsamkeit. Die Leere, die ich in meinem Herzen verspüre. All
das kann ich mir doch nicht einbilden, dachte er sich.
» Oh Gott, was soll ich nur tun? Hilf
mir, den richtigen Weg zu finden.«, sprach Norman, ohne dabei
Angst zu haben, in seinem Gebet von Leuten aus dieser Umgebung
ertappt zu werden, laut vor sich her.
Er ging wie ein Alter Greis in gebückter
Haltung auf die vor dem Bahnhäuschen stehende kleine Sitzbank
zu. Dort, an den kleinen Sitzbänkchen angekommen, ließ
sich Norman verkrampft und völlig erschöpft
nieder.
Ausruhen, nur etwas ausruhen. Muss noch meinen
Kontrollanruf machen, dachte er sich und schlief auf der kleinen
Sitzbank ein.
Doch während er schlief, schlich sich ein
seltsames und pulsierendes Licht an ihn heran. Langsam und zögernd
öffnete er seine schweren Augenlieder. Die ersten Gedanken, die
er nun freisetzte, als er von diesem ungewöhnlichen Summen
erwachte.
Muss wohl eingeschlafen sein. Anstelle hier zu
pennen sollte ich viel lieber meinen Kontrollanruf tätigen,
dachte er. Es kam ein erschütternder Seufzer aus seinem Gemüt.
Wie nur kann ich diesen armen Wesen helfen?
Dachte er sich insgeheim.
Auf einmal bemerkte er das pulsierende
Licht, das sich ganz verstohlen an ihn heranschlich, begleitet von
einem grellen Ton, der aber trotz alledem zum Hinhören
verleitete. Im Nu war er in der Sonderbaren Nebelartigen Wolke
eingehüllt, die sich warmfeucht und dennoch wohltuend anfühlte.
Mm, wo habe ich das schon einmal erlebt?
Schemenhaft sah er seine ihm vertraute Umgebung durch dieses
seltsame pulsierende Licht schimmern.
»Geht das denn jetzt schon wieder los? Was
bist du? Was seid ihr?«, schrie Norman aus tiefster
Kehle, einer Mischung von Verzweiflung und Wut und ohne zu
bemerken, dass er sich langsam aber stetig in die Lüfte erhob.
Plötzlich fühlte er sich leicht wie
eine Feder und verlor jeden Gleichgewichtssinn. Norman zappelte wie
ein Hampelmann in schwindelnder Höhe umher. Tausend Gedanken
gingen ihm durch den Kopf, während er höher und höher stieg.
Was würde ihn erwarten. Wieder eine Begegnung ohne
Ziel und Sinn? Seine innerliche Gegenwehr wehrte sich nicht lange. Minute
für Minute wich seine Angst. Sein Ziel vor dem Unbekannten und
vor dem Treiben, das jetzt von ihm Besitz ergriffen hatte. Wie schon
gesagt je höher und höher er emporschwebte, desto ruhiger
wurde er.
»Es ist
fantastisch, ja, es ist wunderbar. Ich fühle mich frei, so
unendlich frei.«, schrie Norman seiner Welt zu, als wolle er
einen Gruß senden, einen Abschiedsgruß für immer.
Nicht für immer, doch für sehr lange Zeit.
Seine Welt, ja sein ihm vertrauter
Heimatplanet befand sich nun unter ihm. Norman blickte mit einem
leicht beklemmenden Gefühl auf das ihm vertraute, immer
kleiner werdende Bahnhäuschen und das dazu gehörende
kleine Sitzbänkchen. Er sah auch die schier unendliche Strecke
mit ihren Schienensträngen, die sich stur in die Ferne zogen.
Und die Norman Tag ein, Tag aus zur Kontrolle ablaufen musste. Alles
wurde kleiner und kleiner, bis Norman nichts mehr erkennen konnte,
was ihm vertraut war. Die
Erde,
seine Heimat, formte sich langsam aber
stetig vor seinen Augen zu einer Kugel, die an Größe und
stetig an Bedeutung verlor. Schließlich bemerkte er, dass es
immer dunkler um ihn wurde. Dann wurde es so dunkel, dass er
Schwierigkeiten hatte, seine Hand vor Augen zu erkennen. Norman wurde
leicht nervös. Doch als er seinen Kopf beiseite drehte, bekam
er ein Bild zu sehen, dass die ganze Allmacht Gottes darlegte. Ihm
wurde klar, dass es mit nichts verglichen werden konnte, was er bis
heute vom Leben angeboten bekam. Es war von solcher Schönheit
geprägt, dass er sich wünschte, dass dieser Augenblick
niemals vergehen sollte. Ja es war ein Anblick von göttlicher
Natur. Unbeschreiblich und dennoch zugleich unbegreiflich, dass er
dies überhaupt sehen durfte. Niemals mehr mochte er diesen
Anblick mit irgendetwas Irdischem eintauschen. Auch nicht für
alles Geld seiner Welt. Als hätte er neue Augen von Gott
bekommen, um diese Allmacht sehen und gefühlsmäßig
spüren zu können. Er sah Millionen, ja Milliarden von
Sternen, die wie kleine Diamanten, wenn Sie sich im Licht brachen,
funkelten. Wieder richtete er seine Blicke auf seinen Planeten, der
sich stolz in seinem Azurblau präsentierte. Norman blieb die
Spucke weg, so dass nur noch Staunen von ihm übrig blieb. Wie
schön er doch ist, dachte sich Norman. Sein Planet, der sich ihm
in einem wunderschönen und leuchtenden Azurblau vorstellte, um
ihm protzend und stolz seine Aufwartung zu machen. Ihm warnend zu
sagen, dass er der einzige und lebende Planet ist, der für den
Menschen geschaffen sei. Norman bemerkte, dass sich die Erde nicht
mehr verkleinerte, worauf er schließen konnte, dass er sich
nicht mehr von ihr entfernte. Trotz all dieser Schönheit, die
dass Universum zu bieten hatte, kam er sich doch ein wenig einsam
und hilflos vor in seinem Zustand und der Regungslosigkeit.
»Was soll ich denn hier? Auf diese Weise
kann ich euch doch nicht helfen. Kannst du Wesen denn nicht
Antworten oder willst du nicht?« Norman schrie es förmlich
in die Weiten des Universums hinaus.
Er hoffte, dabei Gehör zu finden.
Irgendetwas gab ihm das Gefühl, dass er sich nicht alleine hier
draußen in den Weiten der Unendlichkeit befand. Er begriff
das eigenartige Handeln dieser Wesen nicht. So viele Emotionen
rüttelten diese Wesen in ihm wach, entführten ihn und zu
guter Letzt lassen Sie ihn auch noch alleine. Alleine an diesem
einsamen geführten Ort, ja am Rand der Trostlosigkeit. Er
dachte an Zuhause und an den Fluss, wo er so oft Angeln ging. Auch
um eins mit der Natur zu werden und sei es nur für wenige
Stunden. Ja, Norman vermisste den Gesang des Flusses und das
Rauschen der Bäume des Waldes. Und der Wind, der durch das
Geäst und die Baumwipfeln strich und stets sein Lied sang. Er
rang mit seiner nervlichen Belastung. Plötzlich fiel ihm etwas
auf, das ihn jäh aus seinen tiefgründigen Gedanken
wachrüttelte. Er konnte atmen! In seiner Nervosität fiel
ihm zwar auf, dass er sich frei schwebend im Welltraum befand, jedoch
machte ihm diese Tatsache Kopfzerbrechen.
»Oh mein Gott, oh mein Gott!«, gab
er im ständigen Wiederholen von sich.
»Ich kann ja atmen. Wie ist das
möglich? Im Weltall gibt es doch keinen Sauerstoff und wo ist
die Kälte?«, er verlangte jetzt Antworten, antworten die
ihm einen Sinn für das Unglaubliche vermitteln sollten.
»Wo bist du?« Norman wiederholte die
Versuche, von dem Wesen, das ihn vermutlich entführte,
eine Antwort zu bekommen, doch sie verhallten im leeren Raum.
*
Zur gleichen Zeit:
Ein sehr schmaler Wanderpfad entlang eines von
so vielen Bahndämmen in Bayern, in der Nähe ein kleines
Bahnhäuschen. Neben diesem Pfad leben einige bäuerliche
Familien, die von ihrer Gartenseite aus öfter diesen allseits
beliebten und schmalen Pfad als Abkürzung benutzen, um den in
der Nähe liegenden Haltepunkt Rednizkleineck der Bahn zu
erreichen. Auch benutzten einige der Anwohner den Pfad, um zum
ortsansässigen Bäcker (der nicht weit vom Bahnhäuschen
seinen Platz fand) zu gelangen. Und andere wiederum, um mit dem Hund
Gassi zu gehen. Nun, wie man erkennen kann, ein allseits beliebter
Weg für jedermann, der diese Abkürzung kannte. So auch für
Katja, die gerade mit ihrem Hund Wuschel Gassi ging.
»Katja, Katja?« schrie die Mutter
der gebürtigen Rednizkleineckerin zu.
Katja Moser war ein 16 Jahre altes
bildhübsches Mädchen, das sehr in sich gekehrt
war. Sie hatte strohblondes und bis zu den Hüften langes Haar.
Zudem war sie auch ein sehr schüchternes Wesen, so dass sie mit
den Jungs in der Schule und der Nachbarschaft nicht viel am Hut
hatte. Katja hätte keine Schwierigkeiten, einen festen Freund zu
finden, nein im Gegenteil. Dieses Mädchen wurde regelrecht von
den Jungs umschwärmt. Dennoch teilte sie regelmäßig
sehr harte Körbe aus. Schon vor geraumer Zeit hatte sie sich
fest vorgenommen, sich für den richtigen aufzubewahren. Ja, sie
glaubte felsenfest daran, dass sie eines Tages ihrer wahren Liebe
gegenüberstehen würde. Katja träumte wie jedes junge
Mädchen in diesen Alter von Prinzen und Popstars. Jener
welcher sie dann in die Welt des Rums und Reichtums entführen
sollte. Doch bei so vielen jungen Mädchen sollte dieser Traum
nie erfüllt werden.
»Katja? Warte doch Mal!«, kam ihr die
Mutter eilig entgegen gelaufen.
»Was ist denn, Mami?«
»Schatz, kannst du nicht schnell beim
Bäcker vorbei gehen und ein bisschen Gebäck mitbringen?«
»Klar Mami, mach ich.«, nach
dieser freundlichen Order ihrer
Mutter ging Katja mit Wuschel weiter.
Während sie den schmalen Pfad entlang
schlenderte, träumte sie von Ihrem Traummann, der ihr natürlich
ganz zufällig auf dem Pfad entgegen lief, um sich sofort
unsterblich in sie zu verlieben. Kurzerhand und ohne sie um Erlaubnis zu
bitten, sie dann ganz kess in den Arm zu nehmen. Er sollte sie so
küssen, dass sie das Gefühl bekäme in den Wogen des
Glückes und der Liebe zu versinken. Wie so viele jungen Mädchen
in diesem Alter und ihrer kindlichen Naivität, war es nicht
verwunderlich, dass die Träume und Fantasien mit der
Wirklichkeit, also der Realität eingetauscht wurden. Bei fast
allen Mädchen blieb dieser Wunsch nach der absoluten großen
Liebe auf ewig nur ein Traum oder wurde durch die sehr harte
Wirklichkeit jäh zerstört. Einige Mädchen die in
ihrem Wesen und ihrer Seele sehr zart besaitet waren, erholten sich
nicht mehr davon. Sie begingen Selbstmord oder gerieten auf die
schiefe Bahn. Aber da gab es auch Ausnahmen, wo das Schicksal ein
wenig nachzuhelfen schien. Dennoch, aus diesem scheinbar unsagbaren
Glück entpuppte sich in der späteren Lebensphase des
Erwachsenwerdens die schier grenzenlose Verzweiflung. Eine
Verzweiflung, aus der es nur selten einen Ausweg gab. Dennoch, dieses
Schicksal sollte Katja nicht ereilen. Was sie zu diesem Zeitpunkt
nicht wissen konnte, dass sie an diesem Tag, während sie mit
ihrem Hund spazieren ging, einem unglaublichen Abenteuer entgegen
ging. Es sollte ein Abenteuer werden, wie es sich ein Mensch nicht
einmal in seinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können.
Kapitel 2, Die Entführungen, Teil 2
Anfang und Kapitelübersicht
© 2012 by Peter Althammer
|